Simeon mit dem Kinde 04.06.2019
Das Altarbild der
Sankt-Marien-Andreas-Kirche
von Dr. Heinz-Walter Knackmuß
Altarbild "Simeon mit dem Kinde"
in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow
1. Das Altarbild der Kirche
Das Altarbild der Rathenower Sankt-Marien-Andreas-Kirche „ Simeon mit dem Kinde“ hat der Hofmaler Friedrichs II., Professor Bernhard Rode, 1779 der Kirchengemeinde geschenkt. Es hat den Feuerbrand und die Zerstörung der Kirche im Zweiten Weltkrieg 1945 überlebt, weil es mit dem Marienaltar zusammen im Turm eingemauert worden war. Das Gemälde kann in der Kirche wieder bewundert werden. Der Förderkreis hatte beschlossen, dass das stark nachgedunkelte Bild in Mosaiksteinen als Kopie neuen Glanz erhalten sollte. Jeder Besucher kann gegen eine Spende einen Mosaikstein auf die Felder der vorgezeichneten Glasscheibe kleben, sodass sich nach und nach das Mosaikbild ergibt. Am Pfingstmontag, den 05. 06. 2006 begann dies Mosaiksteinsetzung. Die Firma „Uhu“ spendete dafür die Klebepads.
2. Professor Christian Bernhard Rode
Christian Bernhard Rode wurde am 25.07.1725 als Sohn eines reichen Goldschmieds in Berlin geboren. Von 1741 -1745 absolvierte er eine Ausbildung beim Hofmaler Antoine Pesne. Danach reiste er zu Studienzwecken von 1745 -1755 nach Paris, Rom und Venedig. Seit 1756 war er Mitglied der Berliner Akademie der Künste und wurde 1783 zum Direktor der Berliner Akademie der Künste berufen. Am 28.06.1797 starb er in Berlin. Er war der Erste Hofmaler von Friedrich II. (Friedrich der Große, Alter Fritz). Professor Rode malte besonders gern Themen aus dem Alten und Neuen Testament, der griechischen und römischen Mythologie sowie der deutschen und brandenburgischen Geschichte. Seine Gabe war die Darstellung von ungewöhnlichen historischen Themen. Seine Bilder erzählen Geschichten. Durch die finanzielle Unabhängigkeit war es ihm möglich, viele Altarbilder an arme brandenburgische Kirchengemeinden zu verschenken. Er war der berühmteste Historienmaler in Berlin. Sein Werk umfasste Decken – und Wandgemälde in Schlössern und Palästen, Tafelbilder in Öl und Radierungen.
3. Simeon mit dem Kinde (nach Lukas 2, 22-40)
Das Altarbild in Rathenow stellt den Greis Simeon dar, der Jesus auf seinen Händen hält. Hinter ihm steht die alte Hanna. Vor dem Greis wartet die Mutter von Jesus, Maria, auf ihren Säugling. Links sieht man eine geopferte Taube. Hinter Maria dunkel angedeutet Josef. Nach jüdischer Sitte mussten alle Erstgeborenen Priester werden, es sei denn der Vater löste sie bei einem Priester aus. Das wurde am 30. Lebenstag mit oder ohne Kind beim Priester vollzogen. Der Vater musste dem Priester ein paar Silbermünzen geben oder wenn er arm war, zwei Tauben opfern. Der Greis Simeon hatte eine Vision, dass er nicht sterben würde, ohne den Messias gesehen zu haben. Als nun Jesus in den Tempel gebracht wird, kommt der Heilige Geist über ihn und er dankt Gott dafür, dass er den Messias sehen durfte. Die Bilder von Professor Rode dunkeln sehr stark nach. Dorothea und Manfred Langner aus Berlin gaben daher die Anregung, ob man das Altarbild nicht in Mosaiksteinen darstellen könnte. Der Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e.V. nahm diesen Gedanken auf und stellte eine Glasscheibe in die Kirche, auf der die Besucher das Altarbild in Mosaiksteinen aufkleben können. Dadurch sieht man wieder die Farben des Bildes leuchten.
Mosaikvorlage Mosaik
4. Die Auslösung
Die inhaltliche Geschichte der Auslösung geht bis auf die Flucht des Volkes Israel aus Ägypten zurück. Die Juden durften aus Ägypten ziehen, als Gott Ägypten mit der 10. Plage schlug. Alle Erstgeborenen, ob Mensch oder Tier, kamen ums Leben. Nur wer den Pfosten mit dem Blut vom Passahlamm bestrichen hatte, wurde verschont. Das Erschlagen der Erstgeborenen brach den Widerstand des Pharaos in Ägypten. Israels Erstgeborene wurden damals nicht dem Tod preisgegeben. Deshalb sagt der Herr, gelobt sei sein Name: „Erkläre alle Erstgeburt als mir geheiligt! Alles, was bei den Israeliten den Mutterschoß durchbricht, bei Mensch und Vieh, gehört mir…“ (2. Mose 13,2 und14). Kaiserschnittentbundene gehören nicht dazu. Der erstgeborene Sohn ist dem Altar geweiht. Er gehört dem Priester. Von ihm muss er losgekauft werden. Die erstgeborenen Söhne waren für den Gottesdienst und das Priesteramt bestimmt. Deshalb gedenken sie dieses Ereignisses mit einem Fastentag. Sie sollen erkennen, dass die Erstgeborenen damals nur durch Gottes Gnade gerettet wurden. In Israel war es üblich, das Erstgeborene der Rinder und Schafe Gott zu opfern. Auf der Flucht aus Ägypten, die vierzig Jahre dauerte, ging die Aufgabe der Priester an den Stamm Levi über. Der Stamm Levi hatte sich beim Tanz um das Goldene Kalb besonders verdient gemacht. Als Mose vom Berg kam und rief: „Her zu mir, wer dem Herrn gehört!“, reinigten die vom Stamm Levi das ganze Lager von Götzenfiguren. Nach diesem Zwischenfall wurde Aaron mit dem Bau der Stiftshütte betraut. Aaron war der Hohepriester und seine Söhne und der restliche Zweig der Sippe Levi einfache Priester. Sie bekamen für alle Zeit diese Aufgaben zugeteilt. Die Leviten akzeptierten diese Aufgabe und übernahmen fortan die Stelle der erstgeborenen Söhne. Die Auslösung der erstgeborenen Söhne blieb aber in modifizierter Form bis heute erhalten.
Der Akt der Auslösung findet am 30. Lebenstag des erstgeborenen Sohnes statt. Wurde aus irgendeinem Grund die Beschneidung noch nicht durchgeführt, findet die Auslösung trotzdem statt. Der erstgeborene Sohn bezieht sich immer auf die Frau, die ihn geboren hat. Es muss also nicht der älteste Sohn sein, wenn ein Mann mehrere Frauen hatte. Die Auslösung entfällt bei Nachkommen des Stammes Levi. Auch wenn die Mutter vom Stamm Levi abstammt, entfällt die Auslösung, auch wenn der Vater einem ganz anderen Stamm angehört. Ist der 30.Tag ein Sabbat oder ein biblischer Feiertag, findet die Auslösung einen Tag später statt. Nach der Auslösung gibt es ein einfaches Mahl für alle Teilnehmer. Zuerst werden die Hände gewaschen und dann wird das Brot gebrochen und die Brotstücken in Salz gestippt und gegessen.
Die Mutter bringt den Säugling in das Zimmer. Der Vater legt ihn in die Hände des Priesters und sagt: „ Das ist mein erstgeborener Sohn, der erste, der kam aus seiner Mutter Schoß.“ Der Priester sagt zum Vater: „Für die Auslösung deines erstgeborenen Sohnes bekomme ich fünf Lot Silber oder ziehst du es vor, das Geld zu behalten?“ Der Vater erwidert: „ Er ziehe das Kind vor und gebe das Geld gern dem Priester.“
Dann übergibt er an den Priester das Geld. Der Priester spricht: „Gelobt seist du, Ewiger Gott, König der Welt, der du uns Leben und Erhaltung gegeben und uns diese Zeit hast erreichen lassen.“ Dann erklärt der Priester, dass die Auslösung stattgefunden hat und spricht den Segen über das Kind. Das Lösegeld behält der Priester als persönliches Eigentum. Manchmal hat man dabei den Eindruck, dass hier keine Gottesfurcht als religiöser Hintergrund zu suchen ist, sondern mehr Aberglaube und Angst. Die Menschen haben Angst, dass das Kind ohne die Auslösung vom Würgeengel erschlagen wird. Aus dem komplizierten Regelwerk für die Juden lässt sich der allgemeine Grundsatz im Jüdischen Volk ableiten, der sich auch auf die zehn Gebote bezieht. Eine Freiheit ohne Gesetz ist nichts wert. Dieser Grundsatz ist für alle Menschen gültig und gilt auch für alle Völker. Beispiele dafür gäbe es genügend, ob man dabei an den Atomausstieg oder an dubiöse Geschäfte im Internet denkt.
Peter Kurth aus Rathenow schrieb 2019:
Dieses Bild hängt in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche im Chorraum.
Vor dem 2. Weltkrieg war es unser Altarbild. Viele Generationen von Rathenowern hatten es somit im Gottesdienst „vor Augen“.
Der Schöpfer des Bildes, Prof. B. Rode, war Hofmaler des Preußenkönigs Friedrich II.
Rodes Vater war ein wohlhabender Goldschmied in Berlin und konnte seinem Sohn ein materiell unabhängiges Leben sichern. Der wurde Maler und hat 1779 das Gemälde „Simeon mit dem Kinde“ 1779 der Rathenower Kirchengemeinde geschenkt. Das Dargestellte bezieht sich auf den Bibeltext Lukas 2, 25 – 38: Der greise jüdische Priester Simeon träumte, dass er vor seinem Tod noch den Messias sehen werde. (Ein alter Traum der in der Geschichte so oft verfolgten und unterdrückten Kinder Israels war es, dass ein von Gott eingesetzter König der Juden kommen würde, dessen Thron dann ewigen Bestand haben würde. Die frühen Christen bezogen diese Messiasverheißung dann auf Jesus Christus, den „Gesalbten“, der Gott und die Menschen miteinander „versöhnt“.)
Es war jüdische Sitte, dass ein erstgeborener Sohn an seinem 30. Lebenstag (also nach der rituellen Beschneidung am 8. Lebenstag) zum Priester gebracht wird. Da wird dann entschieden, ob er wie üblich auch ein Priester wird oder ob er von seinem Vater durch Opfergaben vom Priesteramt „freigekauft“ werden soll. Reiche mussten ein großes Opfer bringen, bei den Armen reichten 2 Tauben.
Das Bild zeigt nun die Mutter Maria (oft in einem blauen Gewand dargestellt) mit dem Jesuskind vor dem jüdischen Altar, auf dem Tieropfer verbrannt werden, damit der Rauch zum göttlichen Himmel emporsteigt. Am Fuße des Altars liegen Tauben. Der Junge soll also kein jüdischer Priester werden. Diese Szene wird von einer Tempeldienerin beobachtet und auch, etwas weiter im Hintergrund und nur dunkel abgebildet, von Marias Ehemann Josef.
Nur Simeon erkennt in dem Kind „den von Gott Gesandten“, und richtet seinen Blick dankend zum Himmel.
Wir Kirchenführer sind durchaus unterschiedliche Menschen, wir zeigen und erklären deshalb auch nicht alles in gleicher Weise. Wir wissen aber auch, dass unsere brandenburgischen Landsleute oft nur noch über wenig religiöses Wissen verfügen und darüber hinaus auch mit unterschiedlichem Interesse in unsere Kirche kommen und dort keinen Religionsunterricht erwarten. Jede Führung ist deshalb eine Herausforderung an uns, auf unterhaltsame Weise Wissenswertes aufzuzeigen und wenn möglich Ehrfurcht vor der jahrtausendalten Kultur der Menschen und ihren Religionen zu wecken. Dabei soll natürlich auch deutlich werden, dass wir uns in einer evangelischen Kirche befinden. So, wie es das zentrale Chorfenster „Das geöffnete Kreuz“ in unserem Gotteshaus zum Ausdruck bringt.
Das Bildnis „Simeon mit dem Kinde“ ermöglicht uns, in diesem Sinne „tief in den Brunnen der Vergangenheit“ (Thomas Mann) zu blicken. Die Juden sind vor 3000 Jahren aus der ägyptischen Sklaverei geflohen. Im Alten Testament wird beschrieben, wie Gott über die Ägypter furchtbare „Plagen“ verhängt hat, um „seinem Volk“, den Juden, die Flucht in die Freiheit zu ermöglichen. Da ist vom Tod aller Erstgeborenen (Ägypter) die Rede und von der späteren Anweisung Gottes an die Israeliten, zukünftig der Errettung zu gedenken, indem die erstgeborenen Israeliten „geheiligt“ sein sollen.
Wenn es uns bei einer Führung gelungen ist, ein noch weitergehendes Interesse an diesem Bild zu wecken, können wir dann auch den Hofmaler des großen Preußenkönigs würdigen. Wie frei von Dogmatismus und Intoleranz ist die Aussage dieses Bildes, wie sehr provoziert es zum Nachdenken! Wenn nun die armen Eltern keine Tauben geopfert hätten … Ein jüdischer Priester erkennt in dem jüdischen Säugling den Heilsbringer, der dann als Heranwachsender zunächst nur die jüdische Religion „reformieren“ will, schließlich aber der Welt eine neue Religion beschert. Eine Religion, die nicht nur Auserwählten, sondern allen eine frohe Botschaft sein will. Eine Religion, die Toleranz und Hilfsbereitschaft fordert, die auch Wege aufweist, wie wir uns der erdrückenden Probleme unserer Zeit erwehren können.
Glücklich darf man als Kirchenführer sein, wenn es sogar zu einer Diskussion kommt. Und, wie bei Rode, sollte dann gelten, dass wir frei sind von überholten Denkbarrieren. Unsere Kirche bietet Raum für Gedankenfreiheit, auch wenn der sich Äußernde weiß, dass ihm nicht alle zustimmen oder wenn er vielleicht sogar von anderen als respektlos empfunden werden könnte. Ich hatte zur BUGA-Zeit einmal eine Gruppe Ärzte zu führen. Als ich auf den Josef im dunklen Hintergrund des Bildes hinwies, bemerkte einer der Ärzte: „Völlig zu Recht, es war ja doch eine künstliche Befruchtung!“ Man darf darüber streiten, wie weit Toleranz gehen kann. Man sollte vor einem solchen Streit aber keine Angst haben. Da draußen „tobt“ das Leben, die Frage ist: Wie viel davon ist uns in der Kirche willkommen.
Peter Kurth, Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche
Restaurierung 2020
Seit 2020 befindet sich das Gemälde in einer Berliner Reatauratorenwerkstatt, weil es Vandalen mutwillig beschädigt hatten.