6-Cholera in Rathenow
Delikatessgeschäft Knütter am Zietenplatz (1931)
(Postkartenarchiv Knackmuss)
Gegenüber der Post stand das „Hotel zur Reichspost“ , das von „Tante und Onkel Wernicke“, einem sehr beliebten Wirtsehepaar, betrieben wurde. Später befand sich an dieser Stelle neben der Dresdener Bank das Delikatesswarengeschäft Knütter, das im Schaufenster in einem Wasserbecken Hummer und Langusten präsentierte. Dahinter sieht man noch die Redaktion der Havelzeitung. Heute befindet sich dort Timm´s Café. Wer vom Toilettenfenster des Cafés auf den Hinterhof schaut, kann noch die Reste des Krans sehen, der die gewaltigen Papierrollen aufnahm und in die Druckmaschine einhängte. Auf der Südseite der Berliner Straße befand sich das alte Landratsamt, das bis zum Körgraben reichte. Hinter dem Landratsamt spannte sich eine Brücke über dem Körgraben mit eisernem Geländer, die von einer wunderschönen Kastanie überschattet wurde.
So konnten Verliebte abends auf der Brücke stehen und zusehen wie der Körgraben so langsam dahinplätscherte, bis er sich in den Schleusenkanal ergoss. Die heutige Kreisverwaltung ist von 1892 -1895 erbaut worden. 1892 entstand auch die Exportbrauerei Rutschmann&Co, die später zu den Engelhardt-Brauereien gehörte und die Schlossbrauerei C. W. Hoffmann. Das stark gehopfte Pilsner von Rutschmann&Co. konnte sogar mit zwei Gutachten ärztlicher Autoritäten aus Riga und Österreich dienen, das besagten, dass das Bier das beste Vorbeugungsmittel gegen Cholera sei. Als die Cholera, aus Russland kommend, 1892 Deutschland erreichte, gab es besonders in Hamburg 1100 Erkrankungen und 455 Todesfälle. Das Trinkwasser in Hamburg wurde ohne Aufbereitung direkt aus der Elbe entnommen und in die Haushalte gepumpt. Weil der Hamburger Senat den Ausbruch der Seuche zuerst verheimlichte, kam die Cholera über Auswanderschiffe bis nach New York. In Altona, das damals zu Preußen gehörte, wurde das Trinkwasser über Sandfilter gereinigt und hier erkrankten weit weniger Menschen an der Cholera. In Rathenow starb nur ein Arbeiter und seine Tochter an der Seuche. Sie wohnten im Haus Wasserpforte 4, von wo 1866 schon einmal die Cholera ausgebrochen war. Ob nun das gute Rutschmannsche Bier den Ausbruch der Cholera in Rathenow verhindert hat, mag dahingestellt bleiben. Rathenow hatte Vorsorge getroffen. Ein Choleralazarett wurde durch Umbau der großen Reitbahn hinter dem Krankhaus neu geschaffen. Die Desinfektion der Straßen, Rinnsteine, Höfe und Aborte wurde angeordnet. Brunnen mit ungenießbarem Wasser wurden geschlossen. Es erfolgte ein Verbot von öffentlichen Veranstaltungen. Es wurde eine Kontrollstation an der Havel errichtet. Ein Krankenwagen, eine Tragekorb und ein Desinfektionsapparat wurden angeschafft und eine Badeeinrichtung neu gebaut. Die ganze Stadt roch nach Karbol. Die Rathenower nahmen es mit Humor. Der Erfolg dieser Maßnahmen blieb nicht aus. Bis auf die zwei Toten blieb Rathenow von der Seuche verschont und am 03.11.1892 wurden alle Maßnahmen wieder aufgehoben.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 09.07.2019, nach Walther Specht