14-Das Vergnügen der Rathenower
Kulturzentrum Rathenow (2013)
Woran vergnügten sich nun unsere Vorfahren im Jahre 1842 in dem alten Rathenower Theater, in der Berliner Straße 25? Vom 9. Februar bis zum 2. Mai fanden 55 Vorstellungen statt, von denen 22 ernsten und 33 heiteren Inhalts waren. Unter den Verfassern standen Charlotte Birch-Pfeiffer, Hofschauspielerin und Dichterin vieler Dramen und Louis Angely als Verfasser zahlreicher Vaudevilles (Lustspiele mit Musik), die auch damals ihre Zugkraft noch nicht eingebüßt hatten, mit je sechs Stücken obenan. Gern gesehen waren auch Werke von P. A. Wolff, wie „Preziosa“ mit der Musik von Karl Maria von Weber, und von E. Raupach, Kotzebue, Holtei und Louis Schneider, der Komiker am Opernhause und spätere Vorleser Friedrich Wilhelms IV. waren mit drei, Nestroy und Töpfer mit zwei Stücken vertreten. Selbst zwei Opern, „Die Teufelsmühle am Wiener Berg“ von Wenzel Müller und „Das Donauweibchen“ von Kauer, durften nicht fehlen. Den Klassikern wurde mit Schillers „Wilhelm Tell“ und Kleists „Käthchen von Heilbronn“ eine Verbeugung gemacht. Sehr beliebt waren Stücke, deren graulig-prickelnder Inhalt schon im Titel angegeben war. So gab es eine „Leonore“. Mit einem plastisch-mimischen Tableaux: „Der Totentanz um Mitternacht“. Vaterländisches Schauspiel (nach Bürgers Gedicht) von Holtei. Musik von Eberwein. Auch der folgende Titel versprach viel :“Die Waise und der Mörder, Melodrama in drei Abteilungen von J. F. Castelli. Die Musik, welche das Gebärdenspiel der Stummen anzeigt, ist von Herrn Ignaz Ritter von Seyfried.“ Leider können hier nicht alle Titel aufgeführt werden, sie wären für sich schon ein ebensolches Vergnügen für den Leser, wie die Stücke es für unsere Vorfahren waren. Außer dem Theater gab`s noch andere Veranstaltungen, an denen sich die alten Rathenower ergötzten. So zeigte sich ihnen Mathias Borg, „erster Athlet und Herkules seiner Zeit“ unter Mitwirkung der Demoiselle Jänicke in einer „herkulisch-athletischen Kunstvorstellung“ vor dem Schützenhause. Ferner öffnete Madame Luzich aus Italien im Stadthause, Parterre, ihr Kunst- und Wachsfigurenkabinett, das täglich von vormittags 9 bis abends 10 Uhr (bei glänzender Beleuchtung) zu sehen war. „Als ein Meisterstück der Kunst erblickt man daselbst auch eine Giftmischerin, welche vor einigen Jahren zu Palermo in Sizilien in kurzer Zeit 500 Menschen vergiftete und in welcher man die schwarze Seele, gleichsam als lebte sie noch, schauerlich bemerken kann .“ Die „schwarze Seele“ scheint das Geschäft der Madame Luzich günstig beeinflusst zu haben, denn deren Aufenthalt dauerte vom 12. Juli bis zum 7. August. Weniger nervenkitzelnd waren dagegen die fünf Vorstellungen, welche die Gesellschaft von L. Collombet in der höheren Reitkunst und Pferdedressur in der Reitbahn gab, aber auch sie dienten dem „Vergnügen der Einwohner.“ Nachdem die Innenstadt von Rathenow 1945 in Schutt und Asche lag, war auch das Winklersche Apollotheater von 1918 am heutigen Märkischen Platz nicht mehr da. So wurde an gleicher Stelle am 07.10.1958 ein Kulturhaus eingeweiht, dessen Theatersaal 794 Sitzplätze hatte. Es war nicht so komfortabel wie das alte Apollotheater, aber die Rathenower hatten wieder einen kulturellen Mittelpunkt. Das Berliner Sinfonieorchester kam regelmäßig zu einer Konzertreihe nach Rathenow. Ein alter Vertrag band das Orchester und die Rathenower feierten diesen Ohrenschmaus als den Höhepunkt ihres kulturellen Lebens in der Stadt. Nach der Einheit Deutschlands im Jahre 1990 wurde das Kulturhaus viele Jahre umgebaut und firmiert nun als Kulturzentrum Rathenow GmbH. Der Theatersaal wurde modernisiert und hat 450 Plätze.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 10.07.2019, nach Walther Specht