21-König Friedrich II. gründet Neufriedrichsdorf
Neufriedrichsdorf
Es sind jetzt 246 Jahre vergangen, seit der frühere Nachbarort Neufriedrichsdorf auf der Landkarte erschien. Ein seltsames Dorf. Begründer von einem Könige, erbaut von einem Juden, lange verhasst bei der Rathenower Bürgerschaft, dann ihr beliebter Ausflugsort, errichtet auf städtischem Grund und Boden, aber kommunalpolitisch zum Kreise Westhavelland gehörig, bestehend nur aus einer kurzen Straße mit 50 Häusern und 50 Morgen Land. So bildet es ein Unikum unter den deutschen Dörfern mit seiner zwar ereignisarmen, aber merkwürdigen Geschichte. Die Gründung Neufriedrichsdorfs steht im Zusammenhang mit der Kanevas- und Barchentfabrik in Rathenow, für deren 24 Webstühle in der Fabrikenstraße (heute Wilhelm Külz-Straße) drei Häuser (Nr. 8 bis 10) erbaut worden waren. Streitigkeiten zwischen dem Besitzer dieser Fabrik, dem Oberlandesältesten und Schutzjuden Pintus Levin und der Brandenburger Barchentfabrik von Köppen und Wagner, die sich gegenseitig die Arbeiter abspenstig machten, bewogen Friedrich den Großen zu dem Entschluss, 100 Spinner– und Weberfamilien in Rathenow anzusiedeln. Ursprünglich wollte der König das neue Dorf in der Königlichen Forst Grünaue erbauen lassen. Als ihm aber der Rathenower Bürgermeister Dolscius eine sandigen Plan neben der Ratsschäferei anbot, da befahl er dem Juden am 12. März 1765, an dieser Stelle 50 Doppelhäuser zu errichten. Da der König zu dem Bau 15.000 Taler und Holz aus der Königsheide – daher das Judenholz aus dem Klusgestell bei Krügershorst – hergab, so ist die Behauptung, dass Pintus Levin zum Bau des Dorfes verurteilt worden wäre, als Legende anzusehen. Man kann aber ihren Ursprung aus der Aufregung der Bürgerschaft begreifen, dass die ihr gehörende Heide durch die Siedlung geschmälert und ihren Protesten kein Gehör gegeben wurde. Ihr Zorn wandte sich daher zunächst gegen den Bürgermeister Dolscius, weil er mit seinem Angebot an den König gegen den Willen der Bürgerschaft gehandelt hätte. Als man ihm dann überdies vorwarf, dass er zu viel Schweine und Schafe der Ratsschäferei in die Heide treiben ließe, erwiderte er wenig höflich: „Ich werde noch machen, dass euch die Schweine fressen.“ So kam es denn, dass man noch bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts seinen Namen in Rathenow als Scheltwort für eigensinnige und rüpelige Leute gebrauchte.
Aber auch der Jude bekam die Wut der Bürger deutlich zu spüren. Durch allerlei Schikanen versuchte man die Bauarbeiten zu stören, ja man riss sogar die Gartengehege um und schlug 58 Pfähle über der Erde ab. Die Folge davon war, dass von elf Stadtverordneten fünf zu dreiwöchentlichen Hausvogteiarrest in Berlin und sechs zu vierzehntägigem Arrest im „Bürgergehorsam“ zu Rathenow verurteilt wurden. Das Dorf wurde aber trotzdem weiter gebaut und als es 1767 fertig war, mit Spinnern und Webern aus Sachsen, Mecklenburg und Rathenow besetzt. Damit „einigermaßen denen Einwohnern der Häuser bessere Subsistence verschaffet werden könnte“, erhielt jeder einen halben Morgen Gartenland und das Haus zum erblichen Eigentum, sowie die Erlaubnis, gegen Errichtung von 18 ½ Guten Groschen freies Raff– und Leseholz aus der Königsheide zu holen. Die Arbeiter hatten aber die Pflicht, für die Fabrik in Rathenow eine bestimmte Menge Baumwolle für eine festgesetzten Preis zu spinnen. Außerdem musste jeder vor seinem Hause einen fünffüßigen Baum pflanzen und erhalten - man sehe sich heute einmal die Dorfstraße an – und ferner sich verpflichten, seine Kinder unter keinerlei Vorwand zum Betteln auszuschicken. Die letzte Bestimmung war besonders notwendig, da viele Leute ihre Häuser im Stich ließen und sich, anstatt zu arbeiten, lieber als Bettler umhertrieben.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 10.07.2019, nahc Walther Specht