27-Rathenowische Tragödie im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648)
Reste der nördlichen Stadtmauer von Rathenow (2013)
Wenn es im Kriege um das Bestehen eines ganzen Volkes geht, gelten die Schicksale der einzelnen Menschen wenig oder gar nichts. Und doch werden sie über Jahrhunderte hinaus noch Teilnahme erwecken, weil die vielen „schwarzen und heiteren Lose“ sich zu einem Mosaikbild seiner Zeit vereinigen, in der die Einzelschicksale noch unmittelbar die Tränen des Leides oder der Freude in den Mitlebenden hervorriefen. So wird auch der Mosaikstein, auf dem die Tragödie der Rathenower Familie Heidepriem verzeichnet ist, einen Beitrag zu dem Bilde jenes furchtbaren Krieges bilden, der vor 387 Jahren unser Vaterland heimsuchte. An einem schönen Tage Ende März Anno 1626 ritt Matthias Heidepriem, Ratsherr und Stadtrichter, wie auch Salzfaktor für die mittelmärkischen und ruppinischen Städte, aus dem Rathenower Steintor die alte Heerstraße nach Berlin entlang zur Ratsschäferei, hinter dem heutigen Neufriedrichsdorf, um mit dem Meier die Zeit für die Hafersaat zu besprechen. Er achtete kaum des schönen Waldes, der Gärten und Felder, in denen schon überall Vogelgesang und das Keimen und Sprießen den Frühling ankündigte. In trüben Gedanken saß er auf seinem Pferd und konnte sich nicht losreißen von der Not der schweren Zeit, die auf Rathenow lastete. Mit der Aufforderung des Mansfeldischen Obersten Kniphausen, die Stadt seinem Oberstleutnant mit einer Kompanie Dragoner zu öffnen, fing es an. Denn nach seinen Worten würden sonst die Kaiserlichen Truppen sich Rathenows bemächtigen, wodurch „die gute Stadt und derselben Einwohner an Leib, Gut und der Seele gekränket, auch die ganze Mark Brandenburg in höchste Gefahr und Ruin gesetzet werden würde. Das war am 12. Februar 1626. Die Bürger hatten die Übergabe abgelehnt. Heidepriem und sein Schwager, der Ratsherr Adam Schildknecht, waren dann am 15. Februar mit 50 Mann bis zur abgeworfenen Hohen Brücke marschiert, um mit dem Dragonerobersten zu verhandeln. Als sie aber bei ihrem Widerstande verharrten, winkte dieser mit dem weißen Tuch. Da wichen seine Soldaten beiseite, und es wurde plötzlich ein Geschütz sichtbar. Das begann auch alsofort auf die Stadt zu feuern, so dass alles voll Sausens war, denn sie hatten das Geschütz mit eitel Muketenkugeln (Bleikugeln für Vorderlader) geladen. Es wurden auch etliche hart beschädigt, ja der Krämer Jürgen Stiefeler wurde auf dem Damm zwischen der Langen und der Hohen Brücke mit einem gefährlichen Schuss ins Bein getroffen, dass er daran des Todes sein musste. Die beiden Ratsherren ließen sich hinter einem Haufen Kalksteine, die aus den Schiffen ans Ufer gesetzt waren, niederfallen und salvierten (sich in Sicherheit bringen) sich kümmerlich. Summa es lief also ab, dass 12 Schüsse aus grobem Geschütze in die Stadt geschahen und die Mansfelder drohten, mit Kartaunen (Vorderladergeschütz) und Feuermörsern (Steilfeuergeschütz) zu schießen. Da auf Hilfe Seiner Kurfürstlichen Gnaden aber nicht zu rechnen war, so mussten die Bürger gegen das Versprechen, nur mit 70-80 Mann Besatzung beschwert zu werden, kapitulieren. Mit Bitterkeit musste jetzt der Richter daran denken, wie der Gegner, der die evangelische Sache zu schützen vorgab, dann seinen Akkord brach und bald mit 1500 Mann einrückte, die es sich wohl sein ließen, so dass viele Mitbürger nichts mehr zu beißen und zu brechen hatten. Da weckte ihn plötzlich Pferdegetrappel und Klirren von Waffen aus seinen Sinnen, und er sah 16 und mehr Reiter im Galopp mit aufgesetzten Pistolenhähnen und bloßen Degen auf sich zukommen. Böses ahnend, nahm er sein Pferd zwischen die Sporen und retirierte mit großer Not in einen Busch am Wolzensee, der von den Reitern umstellt wurde. Als sie ihm mit bedrohlichen Worten zuschrien, sein Pferd herzugeben, band er es an einen Zaun und versteckte sich mit Leibes-und Lebensgefahr im Morast, während die Reiter mit bloßem Degen herumsuchten, bis sie das Pferd fanden und mitnahmen. Der Ratsherr schleppte sich mit Mühe nach Hause, legte sich und stand aus dem Bette nicht wieder auf, bis ihn der allmächtige Gott am 19. April durch den zeitlichen Tod abforderte.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 10.07.2019, nach Walther Specht