31-Hochzeitsbäume
Traueiche
in Linde im Landkreis Havelland
Einen der reizvollsten Aussichtspunkte der Rhinower Berge, den Galgenberg, schmückt eine große Akazie, die ein Rhinower Bürger an seinem Hochzeitstage pflanzte und 25 Jahre später noch mit einer Steinbank umgab, in welche er die Inschrift eingraben ließ: „C. (Carl) R. (Ribbe) DEN 9. 1. 1885 – 1910 GOTT WALT und ERHALT.“ Solcher sinnvollen Erinnerungsmerkmale an „des Lebens schönste Feier“ gab es früher in brandenburgischen Landen nicht wenige in und bei jedem Orte, so dass man wohl in Bezug auf das Pflanzen von Ehebäumen von einer Volkssitte sprechen kann, wenn auch diese, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, nicht aus dem Volke geboren, sondern erst durch landesväterliche Fürsorge dazu geworden ist. Der Große Kurfürst hatte in seiner Jugend während seines Aufenthaltes in Holland den großen Segen einer geordneten Kultur von Bäumen jeder Art kennengelernt. In seinem eigenen Lande dagegen standen ihm nicht allein die durch den Dreißigjährigen Krieg verwüsteten und verwilderten Fluren, sondern dazu noch die stumpfe Gleichgültigkeit, besonders der Landbevölkerung, gegen jede Tätigkeit, die sich auf etwas mehr als auf die notwendigsten Lebensbedürfnisse erstreckte, täglich vor Augen. Da gab er, indem er aus der Not eine Tugend machte, den Befehl, dass kein junges Paar in die Ehe treten dürfte, das nicht dem Pfarrer eine Bescheinigung vorlegte, dass es je sechs Obstbäume und Eichen gepflanzt hätte. Seine Nachfolger Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. erneuerten und ergänzten die Edikte nach den dabei gemachten Erfahrungen. So heißt es in dem letzten vom Jahre 1719: „Es soll auch allen Pfarrern in allen unsern Aembtern und anderen Domainen, auch in denen Ambts-Städten hiermit ernstlich und bey Vermeydung schwehrer Verantwortung anbefohlen seyn, dass sie hinfort und von dato an kein paar Ehe-Leute vertrauen sollen, es habe denn der Bräutigam, er sey ein junger Gesell oder Wittwer, von seiner Ambts-Obrigkeit einen beglaubten Schein und schriftliches Gezeugnis produciret, dass er zum wenigsten sechs Obst-Bäume in seinem Garten oder sonst an einem sicheren Ohrte würcklich gepflanzet, darneben auch zur Pflantzung eben so viel junger Eichen das Geld, als vor jedes Stück zwey Groschen, in das Ambt oder Gerichts-Obrigkeit, worunter er gehörig, erleget habe, massen unsere Forst-Bedienten, weiln die Unterthanen mit Pflantzung der jungen Eichen und Büchen nicht umzugehen wissen, jene aber in ihren Bestallungen zu dergleichen Pflantzung absonderlich angewiesen werden, solches von diesem Gelde gehörig zu bewerckstelligen, und welcher gestalt es geschehen, von Jahren zu Jahren anzuzeichnen und zu berechnen haben.“ So erhielten unsere Dörfer und Städte den landschaftlichen Charakter, der noch heute seine Reize ausübt. Die Gärten bedeckten sich in wenigen Jahrzehnten mit Obstbäumen, und innerhalb und außerhalb der Ortschaften reckten Eichen, Buchen, Linden, Rüstern ihr grünes Haupt zum Himmel. Es lässt sich wohl denken, dass viele Bewohner dem Befehle gern folgten, nicht nur weil sie seine praktische Bedeutung erkannten, sondern noch mehr, weil die in ihm liegende Sinnigkeit sie packte, so dass sie nicht nur die „zwey Groschen“ bezahlten, sondern noch darüber hinaus selbst einige Hochzeitsbäume freiwillig pflanzten. Mancher mag allerdings später mit gemischten Gefühlen und ingrimmigem Gesicht das Erinnerungsmal an die „schöne Zeit der jungen Liebe“ als „Trauerweide“ betrachtet, aber sich schließlich damit getröstet haben: „Wärmt`s auch das Herz nicht mehr, so gibt`s doch einmal wenigstens eine warme Stube.“ Von den alten Obstbäumen werden nur noch wenige stehen, aber von den anderen mag noch mancher Baum den Urenkeln der Männer Schatten spenden, die ihn zu ihrem Hochzeitstage gepflanzt haben. So trägt die Promenade auf den alten Wällen in Neu-Brandeburg prächtige, meist paarweis zusammenstehende Hochzeitseichen als schönsten Schmuck. Auch die herrlichen Alleen von Eichen und Buchen, die bei oder in vielen havelländischen Dörfern standen und teilweise noch stehen, verdanken diesem alten Brauch ihre Entstehung. Besonders trifft das auf die „adligen“ Dörfer zu, denn die havelländischen Edelleute waren von jeher durch Besitz und Blut der Natur und der Heimat besonders innig verbunden. Auch die „Traueiche“ beim Vorwerk Linde, deren Umfang fünfeinhalb Meter beträgt, ist vielleicht ein Hochzeitsbaum. Ihren Namen erhielt sie, weil in der Mitte des vorigen Jahrhunderts unter ihrem breiten Blätterdach die Trauungen und Taufen, sowie auch Gottesdienste für die Bewohner des Vorwerks stattfanden. Der poesievolle Zauber solcher Eheschließungen unter dem hohen Gewölbe der Eiche, auf deren Ästen die Vögel das Brautlied sangen, wird jedem Teilnehmer unvergesslich geblieben sein. 2013 ist die Traueiche leider nur noch als alter abgestorbener Baum zu bewundern. Die Einwohner von Linde haben zwar schon eine neue Traueiche gepflanzt, aber das dauert, ehe sie die Maße der alten Traueiche erreichen wird. Rathenow war früher stolz, jede Straßen der Stadt mit einer anderen Baumart bepflanzen zu haben. Reste davon sieht man noch am Friedrich-Ebert-Ring, wo ein paar Ginkgobäume von dieser Stadtverschönerung übrig geblieben sind. Obwohl es jetzt die Grünen gibt und der Tourismus einen großen Anteil des Wirtschaftsleben im Westhavelland ausmacht, hat die Stadt Rathenow solche Ambitionen nicht mehr. Kurz vor dem Weltkriege hat die thüringische Stadt Mühlhausen den Versuch gemacht, die schöne Sitte wieder aufleben zu lassen, indem sie die jungen Paare aufforderte, zwei Eichen für eine Hochzeitallee im Stadtpark zu pflanzen. Der Versuch verdient auch im Havelland umso mehr Nachahmung, als heute, wo wir an schönen Eichen-, Buchen- und Lindenalleen nicht mehr reich sind, die große Zahl der Eheschließungen die beste Gelegenheit böte, unsere Städte und Dörfer zu verschönen. Die Gemeinden könnten auf diese Weise zu prächtigen Anlagen kommen, die sie kaum einen Pfennig kosten würden, wenn sie nur einen Platz oder Weg zur Verfügung stellten. Die Pflege der Bäume würde jedes Paar sicher unentgeltlich und gern übernehmen. Des Dankes der Mit- und Nachwelt könnten die Ortsbehörden wie auch die Stifter der Hochzeitbäume sicher sein.
„Bauen, graben, pflanzen lasst euch nicht verdrießen,
Ihr und die, so nach euch kommen, werden es genießen.“
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 13.07.2019, nach Walther Specht