36-Kleinkunst im Alltag im Havelland
Alter Lehnstuhl vor einem
bleiverglasten Fenster
in Rathenow
Wenn ich unser Havelland durchstreife, werde ich immer wieder von der Natur in der Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen entzückt. Mein Herz freut sich über „Gottes Gaben“, „ über der schönen Gärten Zier“, „Narzissus und die Tulipan“, die Wälder Berge und Täler, Wiesen und Felder. Vielleicht lasse ich aber auch meine Blicke kurz auf den Blüten der Kleinkunst ruhen, die dem Meister Tischler, Schlosser und Schmied ihre Entstehung verdanken. Einst ein reicher Blumenstrauß handwerklicher Fertigkeit, sind ihrer immer weniger geworden, und erst die neue Zeit besinnt sich wieder darauf, was dieser Schmuck den Vorfahren einst bedeutete. Ist er für uns auch oft nur ein kurzer Blickfang, so war er für sie Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Es war ihr Haus, ihre Wohnung, ihr Hausrat, die sich nach ihrer Weise gestalteten und ausschmückten. So drückten sie den Dingen, die sie umgaben, mit denen sie täglich in Berührung kamen, den Stempel ihrer persönlichen Eigenart auf. Dadurch entstand eine bürgerliche und bäuerliche Kleinkunst, die in vielen Gegenden Deutschlands herrlichste Blüten trieb. Wenn auch in der Mark Brandenburg die Formenbildung nicht so üppig wucherte, so kommt aber auch hier die Freude am Gestalten und der Ausdruck der Sinnigkeit zur Geltung. Man sieht in den Rosen und dem Namenszug, mit denen der Karabinierleutnant Graf von Sparr das Treppengeländer seines Hauses in der Fabrikenstraße (Wilhelm-Külz-Straße) schmückte, die Freude über seine junge Ehe und das von ihm 1785 gekaufte Besitztum. Man erkennt den Handwerkerstolz, vielleicht auch das glückliche Familienleben des Schmiedes Michael Brathe in Friesack an der Zahl der Hufeisen und dem lustigen Blütengerank in seinem Handwerkszeichen. Als es eine Straßenbeleuchtung auf dem Dorfe noch nicht gab – es ist noch gar nicht lange her! Man will des Abends auf dem Dorfe oder in den abgelegenen Straßen der Stadt jemand besuchen und hat vielleicht schon mit einem modrigen Straßengraben eine unliebsame Bekanntschaft gemacht, ist man da nicht froh, wenn aus der pechrabenschwarzen Finsternis ein Lichtschimmer, der durch eine Ausschnitt im Fensterladen aus der Stube fällt, einem zuwinkt: Hier ist gut sein? Auf das Klopfen wird der Flur erleuchtet, und man erblickt als Schatten gegen die Helligkeit in dem Oberlicht über der Tür die Anfangsbuchstaben des Freundes, seiner Eltern oder der Großeltern und eine Zahl erinnert daran, dass das Haus 1807 nach dem großen Brande neu gebaut ist. Die Haustür wird geöffnet und man tritt in die Stube und wird von der Behaglichkeit des Familienlebens umfangen, als dessen würdigste Sinnbilder die alte Truhe mit dem schönen Beschlag und der noch ältere Lehnstuhl die Jahrhunderte überdauert haben. Nimmt sich der alte Lehnstuhl aus dem Jahre 1679 mit dem Sechsstern und dem Herzen, sowie der schönen Inschrift auf der Rückseite der Lehne in seiner Behäbigkeit nicht aus wie ein würdiger Bürger oder Bauer, auf dessen Festigkeit und Treue man sich verlassen kann? Diese wenigen Beispiele zeigen uns, dass es nicht schwer ist, die neuerdings wieder angestrebte Wohnkultur auch auf den angeführten Gebieten zur Ausführung zu bringen und dadurch unseren Häusern einen ganz persönlichen Ausdruck zu geben. Die Wetterfahnen, die Fensterladenausschnitte, die Oberlichter und der übrige Hausrat zeigen wes Geistes Kind man ist.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 13.07.2019, nach Walther Specht