Peter Kurth schreibt über die Zeit des Großen Kurfürsten am 08.07.2020
Die Zeit des Großen Kurfürsten und Heinrich von Kleists Theaterstück „Prinz Friedrich von Homburg“
von Peter Kurth im 30. Jahr der wiedergewonnenen Deutschen Einheit
08.07.2020
Peter Kurth
1. Corona besiegt die Schwedentage
Der Kulturförderverein Mark Brandenburg wollte zu den diesjährigen Schwedentagen einen Vortrag zum Gedenken an dieses Ereignis anbieten. Das Vorhaben musste wegen der Corona-Schutzmaßnahmen wie so viele andere abgesagt werden. (Ein Virus von der ungefähren Größe eines Millionstel Millimeters zwingt die ganze Welt zu Abwehrmaßnahmen!) Nun konnten zwei Artikel in der MAZ einen Ersatz für den ausgefallenen Vortrag bieten. Eine Zeitung muss aber oft aus Platzgründen kürzen. Hier ist nun der ungekürzte Text, der auch noch mit Bildern erweitert wurde.
Die Darlegungen werden eine Zeit beleuchten, in der absolutistische Herrscher die Politik dominierten und viele Kriege führten. Als unser verehrter Kurfürst 1620 geboren wurde, war der Dreißigjährige Krieg gerade erst 2 Jahre alt. Rathenow hatte noch 2000 Einwohner. Friedrich Wilhelm von Hohenzollern sollte sich früh auf die Regentschaft vorbereiten, deshalb schickte ihn sein Vater schon mit 14 Jahren zum Studium in die Niederlande. Das war aus der Sicht des Brandenburger Herrschers ein beneidenswertes Land. Der junge Herr hatte sich deshalb dort für vieles zu interessieren: Staatswesen und Kolonialpolitik, Fremdsprachen, Handel, Technik, Schiffsbau. Früher als gedacht starb der Vater, und Friedrich Wilhelm musste die kurfürstliche Herrschaft schon im 20. Lebensjahr übernehmen. Ein Kriegsende war noch nicht in Sicht. Er übernahm ein verwüstetes, kaum noch lebensfähiges Land, das zudem territorial aus mehreren einzelnen Stücken bestand. Ostpreußen hatte z.B. keine Landverbindung nach Brandenburg.
In dieser Zeit schrieb Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen den ersten weltweit verbreiteten deutschen Roman „Der abenteuerliche Simplizissimus“, in dem ein Kind, später ein Heranwachsender den Dreißigjährigen Krieg erleidet. Ein Gedicht daraus soll in Auszügen hier angeführt werden. Es wurde etwas „gegenwartssprachlich“ verändert. „Du so verachteter Bauernstand / bist doch der Beste hier im Land! / Wir schulden großen Dank nur dir, / denn was die Erde bringt herfür, / wovon ernähret wird das Land, / geht alles erst durch deine Hand. / … Der Bauer speist auch den Soldat, / der dir doch zufügt großen Schad. / Die Fürsten schaffen deine Not / und allzu oft sogar den Tod!
Der junge Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte 1646 geheiratet, da war der Krieg immer noch nicht zu Ende. Die Braut war Niederländerin und aus einem hohen Herrscherhaus. Eine solche Heirat war damals auch Bündnispolitik, und die Braut brachte immerhin eine Mitgift im Wert von 180.000 Reichstalern in die Ehe. War das ein erster Schritt zur zukünftigen Größe des Herrschers und unseres Landes?
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst
2. Die absolute Herrschaft
Die Frau des brandenburgischen Kurfürsten führte den Namen Luise Henriette von Oranien. Sie bekam als Geschenk ein Schloss, das dann auch den Ortsnamen Oranienburg begründete. Es ist das ältestes Barockschloss unseres Landes Brandenburg, es wurde aufwendig restauriert und kann besichtigt werden.
Luise Henriette von Oranien
Als der Dreißigjährige Krieg 1648 beendet wurde, war Vorpommern schwedisches Staatsgebiet. Auf Rügen, in Stralsund und Stettin sprachen die Beamten schwedisch. Frankreich und Schweden waren europäische Großmächte und keinesfalls mit Brandenburg-Preußen befreundet. Die Heirat mit der Prinzessin aus den Niederlanden aber erwies sich als kluge politische Entscheidung: Baumeister, Schiffsbauer und andere Handwerker, auch Künstler und Wissenschaftler aus den Niederlanden zogen nun zu uns in die Mark. Das ganze Land begann sich zu erholen. Rathenow hatte 14 Jahre nach dem Ende des Krieges wieder 1000 Bewohner. Sie arbeiteten in der Ziegelei, als Handwerker oder auch als Weinbauern und Fischer.
Das Bündnis der Hohenzollern mit dem niederländischen Adel hielt übrigens auf seltsame Weise lange Zeit: Kaiser Wilhelm II. musste nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg abdanken und fand in einem holländischen Schloss ein Asyl.
Die Zeit des Großen Kurfürsten war geprägt vom Absolutismus. Um es ganz einfach auszudrücken: Die Landesherren protzten mit grenzenlosem Luxus, um ihre Macht zu demonstrieren. Die ihnen untergebenen adligen Herrscherhäuser versuchten nach Kräften, mit ihrem Besitz ebenfalls zu beeindrucken.
Es war die Zeit der Perücken, der Schminke, des Puders und des Parfüms, der prachtvollen Schlösser, Kutschen und Kostüme. Die einfache Bevölkerung war dagegen weitgehend rechtlos und lebte in erbärmlicher Armut. Die Bauern waren „leibeigen“, galten also als Besitz ihrer Gutsherren und mussten ihnen hohe Abgaben leisten. Die Adligen waren auch die Gerichtsherren in den Dörfern, selbst eine Heirat musste oft erst genehmigt werden. Der berühmt-berüchtigte Kahlbutz aus Kampehl ist da ein Beispiel für die Willkür der Herren.
Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte in der ersten Ehe 6 Kinder, die aber nicht alle am Leben blieben. Ein Sohn namens Friedrich musste mit einer verbogenen Schulter und mit daraus resultierender Atemnot aufwachsen. Eine Amme hatte ihn zu Boden fallen lassen. Der kraftstrotzende Vater war nicht fähig, einen solchen Sohn zu lieben. Dass dieser behinderte junge Mann dann sein Nachfolger werden sollte, der sich sogar selbst zum König krönte, konnte zunächst niemand ahnen.
Friedrich I., König in Preußen
3. Das problembeladene Leben der Herrscher
Die erste Frau des Kurfürsten starb mit 40 Jahren an Schwindsucht. Auch die zweite Ehefrau wurde mit politischem Kalkül ausgewählt, es war eine verwitwete Prinzessin aus Schleswig-Holstein mit umfangreichen Besitzungen. Die wird als machtbewusst und intrigant geschildert. 7 Kinder gebar sie dem Kurfürsten, der schließlich in seinen letzten Lebensjahren schwer an Gicht erkrankte. Das war die Chance für seine Gemahlin, in einem Testament ihren Kindern das Erbe der Macht zu verschaffen. Der eigentliche Kronprinz mit seinen körperlichen Gebrechen musste sogar fliehen.
Als aber der Kurfürst im 68. Lebensjahr starb, fand der „verkrüppelte Friedrich“ Mittel und Wege, sein rechtmäßiges Erbe doch anzutreten. Nun musste die Stiefmutter fliehen. Wie sollte aber dieser behinderte Mann nun ein geachteter Nachfolger seines Vaters werden, der seit dem Sieg über die Schweden „der Große Kurfürst“ genannt wurde und der sein Land unermüdlich und manchmal auch skrupellos weiterentwickelt hatte? Der konnte zum Beispiel tatsächlich seinen alten Traum verwirklichen, auch eine brandenburgische Kolonie in Afrika zu besitzen. Den Häuptlingen wurden Feuerwaffen geliefert, dafür bekam man Elfenbein und Sklaven, die in Amerika gegen Tabak, Kakao und Baumwolle eingetauscht wurden. (Wer die in Ketten gelegten Gefangenen auf unserem Kurfürstendenkmal genau betrachtet, könnte da eine neue Entdeckung machen.) Als Gegengewicht zu dieser aus heutiger Sicht verbrecherischen Handelspolitik können wir eine für die damalige Zeit sensationelle „Asylpolitik“ vermerken: Als an die 20.000 Protestanten (Hugenotten), Handwerker und Gelehrte, aus dem katholischen Frankreich fliehen mussten, fanden sie in Brandenburg eine neue Heimat.
Der „schiefe Fritz“, wie der neue Herrscher von seinen Untertanen genannt wurde, konnte also den absolutistischen Prunk fortführen – und ihn ins Ungeheuerliche steigern. Niemand trug so gewaltige Perücken (sie sollten den verwachsenen Buckel verdecken), niemand führte ein solches Luxusleben. Er wollte König werden – und er wurde es. Die Krönungsfeierlichkeiten kosteten 250.000 Taler, er verfügte im Laufe der Zeit über 25 Schlösser, 50 Köche und ungezählte Mätressen. Er war dreimal verheiratet. Die Beerdigungsfeierlichkeiten für seine zweite Frau kosteten 200.000 Taler. Die Frau hieß Charlotte; ein gewaltiger Schlosskomplex in Berlin trägt ihren Namen.
Dieser merkwürdige Mann hatte nun aber einen Kronprinzen, der ganz anders geartet war. Der wurde dann der sogenannte Soldatenkönig.
Friedrich Wilhelm I.
4. Das traurige Familienleben der Herrscher
Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm, der so gar nicht seinem Vater glich, führte gleich nach der Machtübernahme „neue Moden“ ein: Den Schuldenberg, den er erbte, baute er mit äußerster Sparsamkeit ab. Statt des höfischen Luxuslebens erweiterte er seine Armee. Preußen hatte nur 1,6 Millionen Einwohner, aber 80.000 Soldaten, es war nun eine gefürchtete Militärmacht in Europa. Auch die Kinderzahl des Königs war beträchtlich: 14! Am liebsten hätte er nur männliche Nachkommen gehabt, zukünftige Soldaten. Als seine 6. Tochter geboren wurde, soll er ausgerufen haben: „Zu viele Mädchen, entweder man ersäuft sie oder man macht Nonnen aus ihnen!“ Sein Regierungsstil war menschenverachtend, Disziplin, Pflichtbewusstsein gingen ihm über alles. „Preuße sein ist Ehre, kein Vergnügen!“ war einer seiner Grundsätze. Und diese Grundsätze trugen Früchte: In seiner Regierungszeit wurden die Wirtschaft, das städtische und dörfliche Leben weiter entwickelt, die Volksschulpflicht eingeführt und die Charité begründet – aber alles musste natürlich der Stärkung seines Landes, insbesondere der militärischen Macht dienen. Und dieser Mann bekam nun einen Kronprinzen, der in seinen Augen weibisch veranlagt war. Der verabscheute die Jagd und den militärischen Kult, er las lieber Bücher und musizierte auf der Querflöte. Zudem erwies er sich als hochintelligent und störrisch gegenüber den Befehlen seines Vaters. Als der Sohn aus dieser väterlichen Diktatur unbedacht fliehen wollte, wäre er, wie allseits bekannt, beinahe als Fahnenflüchtiger hingerichtet worden. Die Begnadigung ging einher mit einer Zwangsverheiratung. Er war 19, sie erst 16. Als ihr Mann dann König Friedrich II. wurde, musste sie einsam wie eine Verbannte in einem anderen Schloss leben. Die Ehe blieb kinderlos. Das alles ist für uns heute „verwunderlich“: Friedrich II. wurde dann der berühmteste Preußenkönig, er führte viele blutige Kriege, während sein Vater, den sie Soldatenkönig nannten und der seine Untertanen und seine Kinder gelegentlich mit seinem Krückstock verprügelte, mit weniger Kriegen regieren konnte. In Preußen zu leben, war wirklich kein Vergnügen, und das betraf auch die Frauen der Herrscher.
Friedrich II., der Große
In Paretz bei Potsdam kann man das Landschloss der Königin Luise besichtigen, im Schlossgarten des Berliner Schlosses Charlottenburg kann man ihre prächtige Grabstätte besuchen. Diese Frau wurde nach ihrem frühen Tod im 35. Lebensjahr vom Volk beinahe wie eine Heilige verehrt. Sie starb völlig entkräftet an einer Lungenentzündung. Sie hatte in ihrem kurzen Leben 10 Geburten „erlitten“. Ihr Mann heiratete dann eine 30 Jahre jüngere Gräfin.
Königin Luise
5. Die Befreiung Rathenows
Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. war stolz auf seinen Großvater, auf den Großen Kurfürsten, der im Jahre 1675 die Schweden erst in Rathenow und dann endgültig bei Fehrbellin siegreich geschlagen und vertrieben hatte.
Zu dessen 50. Todestag, im Jahre 1738, wurde deshalb in Rathenow befehlsgemäß unser Kurfürstendenkmal eingeweiht. Diese große militärische Befreiungsaktion war durchaus ein Markstein in der Geschichte Brandenburgs und deshalb auch ein solches Denkmal wert. Und unsere nun schon traditionellen alljährlichen Schwedentage haben sich zu einem schönen Volksfest mit einem ernstzunehmenden Hintergrund entwickelt.
Schwedentage in Rathenow vor der Sankt-Marien-Andreas-Kirche
Vieles ist über den Verlauf der Kämpfe bekannt, das muss hier nicht wiederholt werden, ein paar interessante Einzelheiten sollen aber erwähnt werden! Als der Kurfürst gerade wieder einmal mit seinen Soldaten im Elsaß gegen Frankreich kämpfte, bekamen die Schweden von Frankreich den „Tipp“, dass das Land Brandenburg ohne die kurfürstliche Armee eine leichte Beute wäre. So wurde dann auch das Land ohne nennenswerte Gegenwehr eingenommen. Der Dreißigjährige Krieg war erst seit 26 Jahren beendet, da fielen die kriegserfahrenen schwedischen Söldner „aus aller Herren Länder“ wieder über unsere Vorfahren her. So schnell wie möglich musste nun der Kurfürst zurückkommen und überlegen, wie er die besetzte und mit Mauern und Stadttore gut befestigte Stadt Rathenow zurückerobern könnte.
Schwedentage in Rathenow
In Böhne machte er einen Tag vor dem Angriff Station, da hatte einer seiner Landräte, der Herr von Briest, ein Landgut. Der sorgte nun dafür, dass die Schweden am Abend mit viel Alkohol versorgt wurden. Die waren arglos und freuten sich über die überaus freundliche Bewirtung. Als dann ein Teil der kurfürstlichen Armee am frühen Morgen mit Kähnen auf der Havel herankam, konnte man am Stadthafen einen Überraschungsangriff starten. Hier sei eine Bemerkung zur Inszenierung unserer Schwedentage gestattet! Der verstorbene Wirt der Pension „Zum Alten Hafen“ Michael Schönberg, das langjährige Vorstandsmitglied unseres Kulturfördervereins, verkörperte in einem prächtigen Kostüm diesen spendablen Landrat. Ein anderer Teil der kurfürstlichen Soldaten kam über das sumpfige Gebiet westlich der Stadt heran, das seitdem den geschichtsträchtigen Namen „Schwedendamm“ trägt. Hier war der Feldmarschall Derfflinger der militärische Anführer. Auch er konnte mit einer List in die Stadt eindringen. Er war nämlich im Dreißigjährigen Krieg in schwedischen Diensten und konnte so die Brückenwache auf schwedisch überreden, die Zugbrücke herunterzulassen und so den Weg zum Stadttor freizugeben. Unsere Stadt ehrte diesen verdienstvollen Offizier des Kurfürsten, indem sie einer Straße seinen Namen gab. Es war die heutige Fr.-Engels-Straße.
Georg von Derfflinger
6. Der Sieg über die Schweden
Drei Tage nach der Rückeroberung Rathenows war der nächste, der entscheidende Schlag gegen die Schweden geplant. Die hatten sich im Raum Fehrbellin gesammelt. Friedrich Wilhelm hatte eine ganze Reihe von hohen Offizieren an seiner Seite, die mit ihren unterschiedlich ausgerüsteten Truppenteilen von verschiedenen Richtungen in die Formationen der Schweden stoßen sollten. Der Angriffsplan war genau besprochen, die exakte Durchführung aber gelang nicht wie erhofft. Man muss dabei bedenken, dass der Kontakt des Oberbefehlshabers zu seinen an unterschiedlichen Orten in Wartestellung befindlichen Einheiten sehr schwierig war. Der Angriff musste aber von allen Seiten gleichzeitig erfolgen.
Schwedentage in Rathenow
Jetzt soll von einem Offizier die Rede sein, der eine so problematische Rolle in der Schlacht bei Fehrbellin gespielt hat, dass der preußische Dichter Heinrich von Kleist ungefähr 150 Jahre nach der Schlacht ein Theaterstück über ihn verfasst hat. Der Mann hieß Friedrich Prinz von Hessen-Homburg. Eine seiner Besitzungen war Neustadt/ Dosse und Umgebung. Diese sumpfige Gegend hat er überlegt und tatkräftig als Landgraf für die Landwirtschaft nutzbar gemacht und schuf so die Grundlage für die spätere Pferdezucht. Als Reitergeneral befehligte er einen wichtigen Teil der kurfürstlichen Armee. Noch bevor der eigentliche Angriffsbefehl ihn erreichte, attackierte er eigenmächtig die Schweden, so dass die kurfürstliche Planung durcheinander geriet. Der Sieg über die Schweden aber gelang dennoch, es wurden 2.400 tote schwedische Söldner gezählt. 2400 Leichen mussten beerdigt werden! Es wird berichtet, dass große Löcher ausgehoben wurden und jeweils 20 unbekleidete Tote hineingeworfen wurden.
Der Kurfürst, dem militärische Disziplin über alles ging, der Disziplinlosigkeit eines Soldaten oder gar eines Offiziers als ein todeswürdiges Verbrechen ansah, verzichtete angesichts dieses Triumphes auf ein kriegsgerichtliches Verfahren gegen seinen Reitergeneral. Die Problematik dieses Falles aber beschäftigte auch noch Friedrich den Großen, seinen Urenkel. Der rechtfertigte nur in diesem speziellen Fall die Begnadigung eines eigenmächtig handelnden Offiziers.
Nach dem Sieg fand ein großer Dankgottesdienst statt. Der Bibelspruch war aus dem Alten Testament (Jeremias): „Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held, darum sollen meine Verfolger … zu Schanden werden … Herr, lass mich deine Rache an ihnen sehen!“ In der Folgezeit nahm die Mark Brandenburg eine geradezu rasante Entwicklung. Rathenow wurde durch die Neustadt erweitert und Garnisonsstadt, 37 neue Häuser waren zwei-, 64 einstöckig, wir hatten wieder 2000 Einwohner, die Stadtschleuse wurde gebaut, der Kirchturm erhöht, der Weinbergfriedhof wurde erweitert und bekam das Torhaus, und das Jederitzer Tor fiel der Straßenverbreiterung zum Opfer.
Heinrich von Kleist
7. Heinrich von Kleists Drama
Als Heinrich von Kleist geboren wurde, waren 100 Jahre seit Fehrbellin vergangen. Sein Vater war preußischer Offizier, Sohn Heinrich trug dann auch schon mit 15 Jahren eine Uniform. Sein erster Kriegseinsatz ging wieder in Richtung Frankreich. Aber die Zeiten hatten sich geändert, Kaiser Napoleon eroberte nun ein Land nach dem anderen; Preußen erlebte Zeiten tiefster Erniedrigung. Der aktuelle Monarch hieß schon wieder Friedrich Wilhelm, aber er war kein Soldatenkönig.
Er floh mit seiner Gemahlin Luise bis in den äußersten östlichen Winkel Preußens, als Napoleon die Herrschaft in seinem Land übernahm.
Friedrich Wilhelm III.
Heinrich von Kleist nahm angesichts dieser „Ehrlosigkeit“ mit 22 Jahren seinen Abschied vom Militär – zum Entsetzen seiner Familie. Er hätte sich doch nur dem französischen Eroberer unterwerfen müssen, dann wäre sein Auskommen weiterhin gesichert. … So aber versuchte sich der aus der Bahn geworfene adlige junge Mann als Theologiestudent, als Journalist und Schriftsteller. Es gelangen ihm auch bedeutende Werke, das bekannteste und immer noch oft gespielte Lustspiel ist „Der zerbrochene Krug“. Aber er lebte oftmals in tiefster Armut und dachte, wie Literaturforscher entdeckt haben, sogar an „Selbstmord durch Verhungern“. Man kann es als seinen letzten Versuch bezeichnen, doch noch als Künstler zu überleben: Er schrieb das Theaterstück „Prinz Friedrich von Homburg“ über die glorreiche Schlacht von Fehrbellin, über den Konflikt zwischen der bedingungslosen Disziplin gegenüber dem Machthaber und einer Haltung, die Mut zur Eigeninitiative anerkennt. Mit diesem Stück wollte er auch die Königin Luise begeistern, und er erhoffte sich sogar finanzielle Unterstützung vom Königshaus. Luise starb aber schon 1810, Kleist endete durch Selbstmord 1811. Seine Abschiedsworte waren: „Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.“
Sein letztes Theaterstück galt zu allen Zeiten als problematisch. Die Frage, die es beinhaltet, ist schwerwiegend. Im Kleist-Stück will der Kurfürst den Prinzen wegen Disziplinlosigkeit zum Tode verurteilen, seine Offiziere raten aber zu einem rettenden Ausweg: Wenn der Todeskandidat anerkennt, dass dieses Urteil staatspolitisch notwendig und gerecht ist, sollte er begnadigt werden und unbeschadet weiterleben können. (Der Handlungsverlauf ist etwas komplizierter, er ist hier vereinfacht dargestellt!) So kann der Prinz von Homburg sein Leben und seinen Besitz retten.
Da hat uns also der gescheiterte Preuße Kleist eine immerwährend beunruhigende Frage hinterlassen: Untertanengeist und bedingungsloser Gehorsam mag zur Zeit des Großen Kurfürsten machterhaltend und in gewisser Weise noch gerechtfertigt gewesen sein. Aber schon die Befreiungskriege gegen Napoleon verwiesen auf einen neuen Zeitgeist.
Und dennoch: Wie war es möglich, dass so viele Deutsche bis zum katastrophalen Ende des Zweiten Weltkrieges bekundeten: „Führer befiel, wir folgen!“ Und – auch diese Frage muss ertragen werden: Was hat sich der DDR-Poet Luis Fürnberg dabei gedacht, als er dichtete: „Die Partei, die Partei hat immer Recht!“
Copyright: Peter Kurth, Rathenow, 08.07.2020