43. Über das Essen und Trinken, den Leib und die Seele von Günter Thonke am 06.04.2011
Was isst man, was man(n) oder die Frau isst? Darüber wissen nur die zu reden, denen es nie schmeckt! Alle anderen schweigen, um genußvoll zu verdauen und zu ruhen. Die Ruhe und die Rast sind die halbe Mast gewesen und wenigerhektische Menschen haben ihre Last damit. Sie haben sie selbst zu tragen. Um Ausreden sind sie kaum verlegen und die unbeweisbarste ist die mit den Genen. Zu allen Zeiten gab es schon eine Philosophie des Essens. Heute leben ganze Industrien, Ärzte und Spezialisten davon. Die malen alle schlimmen Folgen ob des Verhaltens an die Wand, doch die Lebenserwartungen steigen weiter. Die böse Chemie hat die Erträge gesteigert, der Gesundheit geholfen und so zu den Erwartungen der Menschen beigetragen, nicht nur alt zu werden, ohne es dann zu sein, sondern auch Freude am Dasein zu haben. Sind die Vorgaben erreicht, wird noch auf eine Zugabe gehofft. Bis heute im Jahre 2000 ist ein schneller Wandel einstiger Gewohnheiten erfolgt. Der Einkauf aus dem regal ist die Regel geworden. Nur wenige Leute bauen ihren Kohl noch selbst an, kochen sich die Marmelade noch oder ziehen gar die Tomaten auf dem Balkon. Vieles wird anderwärts billiger und besser produziert, um durch die Lande gefahren oder geflogen zu werden, ehe es beim Verbraucher landet. Das nennt man den Markt! Es wird nur noch verzehrt und in die Röhre geguckt. Das setzt an. Dagegen wird gejoggt, gesportet, gar nebenbei geliebt, da dies ja auch zehren soll, an den Nerven und beim Scheiden. Kurzum, es läuft alles falsch. Darum steigen einige aus und wollen in die Vergangenheit zurück mit „ohne Gift und Dünger“. Die essen den Rest ihres Lebens wurmstichiges Obst und kleine Kartoffeln, bevor sie am Hungertuche nagen werden. Ja, wie war das eigentlich früher gewesen? Als noch die meisten Menschen auf dem Dorfe wohnten, lebte man bei „Hofe“. Die Bauern haben sich erst vor fast 200 Jahren nach der Napoleonzeit freikaufen können und dann noch Glück und Tüchtigkei über eine Generation und mehr gebraucht. Die Kossäten wurden seit Jahr- hunderten als Wendlinge benachteiligt und obwohl sie ihre Götter verloren haben, sind sie die oft besseren Christen geworden. Unterschwellig haben sie ihr Brauchtum und ihr geheimes Wissen in den neuen Glauben integriert. Die neuen Heiligen traten an die Stelle der alten Götter. Es ist die alte Kunst des Überlebens in einem neuen Umfeld. Im Leben ist ein stetiger Wandel, ob zum Guten, das zeigt die Zeit! Die Wahrheit kann oft lange warten! Wie lebte man vor einem Jahrhundert im Havelland? Beginnen wir beim Brot. Auf dem Lande wurde einst selbst gebacken, meist alle 14 Tage. Das liebe Brot kam in die Brotlade, für die Kanten hatte man extra ein Fach und darinnen nahm man das Schimmeln in Kauf. Schimmeliges Brot ist gesund, hieß es und war es wohl auch.Heute würden die Hygieniker auf die Barrikaden gehen. Damals aber war das Brot aus reinem versäuerten Roggenmehl.
Es war der Schimmel, der Sir Arthur Flemming den Weg zum Penicellin wies. Doch zum Brot, das als Sinnbild des Hauses in hohen Ehren stand, es wurde vor dem Anschneiden bekreuzigt, durfte nie mit der Schnittfläche auf dem Tisch liegen, weil es dann knapp wurde und läge es auf dem Rücken, so kämen Krankheiten auf den Hof. Aberglaube sagen die „Aufgeklärten“, oder Hühnerglaube wovon der Hahn nichts weiß. Doch Hühner, das waren die Wenden und der Hahn, das war der deutsche Voigt gewesen, der Herr. Auf dem Lande wurde fünfmal gegessen. Am Morgen die übliche Brotsuppe. Butter- gar Honigstullen waren selten, Semmeln kannte man vom Hörensagen nur. Der Kaffee war von gebrannter Gerste und wollte man keinen mehr, so drehte man die Tasse um. Wenn die Schweine satt sind, drehen sie auch den Trog um. Bohnencaffee den gab es nur zu hohen Festen. Deren Liebhaber hatte einst der alte Fritz auf den Kieker gehabt, wo seine Büttel auf den Grund der Kanne kiekten. Der wuchs nicht im Lande und der Daumen war steif für Importe damals gewesen. Wenn aber, dann genehmigte man sich einen Dreispänner, drei Teelöffel auf den Topf mit einem Schuß Rum und Sahne. Das war für den Kreislauf und die Gesundheit! Im Sommer wurde um acht Uhr nach dem Futtern gefrühstückt und im Winter eine Stunde später. Ging es auf das Feld, wurde die Stulle in einen Stullenlappen gewickelt, um sie im Kober frisch zu halten. Vom großen Brot nahm man lieber einen dicken Kanten. Eine ledige Hand, gar eine Pastorschnitte gab es für Kleinmägde und Kinder. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es kann auch Wurst und Schinken sein, zum Käse sagt man auch nicht nein und einen Schnaps in Ehren, wer würde den verwehren! Den Frauen blieb der Muckefuck und im Sommer allen das Braunbier. Oft bekamen die Knechte und Mägde ihr „Genannt“ am Sonntag, das Brot, Schmalz und Butter für die Woche außer den warmen Mahlzeiten mit dem Zubrot. Da wurde Fettlebe gemacht und den Rest der Woche „Drögbrot frett“. Ein gemeinsames Mahl bei Tisch gab es nicht und in der Leutestube, da wurde nicht gebetet.
Die Hauptmahlzeit war zwischen 11 und 1 Uhr. Der Küchenzettel richtete sich nach der Jahreszeit. Die „Regierende“, im Gegensatz zur Großmutter, setzte die Gerichte die Woche im voraus fest. Der Sonntag, der Dienstag und der Freitag waren die Fleischtage, am Mittwoch und Samstag wurden Milch- speisen gereicht und Montags und Donnerstag gab es Hülsenfrüchte. Deren Nährkraft war bekannt, sie waren im ganzen Jahr vorhanden und von der Erbse, die dem Donar heilig war, da saß der Rock recht drall, die machte satt! Viele Gerichte hatten und haben noch ihren
Spitznamen: Fußlappen = Weißkohl; Mausezähne = Graupen;
Blauer Heinrich = Grütze; Junge Hunde = Schoten und Möhren;
Pierlaupen = Fadennudeln; Wonnekleister = Pudding; und aus neuerer Zeit: Rennfahrersuppe mit Kugellager = eine Brühsuppe mit Hackepeterklößen.
Zu Tische wurde gerufen.
Wer nicht kam zur rechten Zeit, der aß dann nur was übrig bleibt. Löffel und Teller lagen bereit, von der Gabel wurde nicht viel gehalten und jeder hatte sein eigenes Messer, von dem er wußte, daß es schnitt. Man nahm das Fleisch in die Linke und löffelte mit der Rechten wie vor 2000 Jahren in Jerusalem. Fiel ein Bissen herab, hieß es,“ungegönnt gedeiht nicht“, fiel der Löffel oder das Messer, so war Schluß mit der Mahlzeit. War diese nicht nach dem Geschmack, sagte man, man esse alles, auch Gänsebraten oder Bratspeck. Gänseschmalz wäre das Beste aller Schmalze und Schwein bliebe Schwein.
Wird sich der Mund verbrannt, hieß es: “Immer pusten auch bei Kaltschale“.
Die Havelländer sind schnelle und starke Esser, nicht aus Gier, sondern weil sie Hunger wie ein Wolf oder Scheunendrescher haben und nicht mit so wenig, wie die Katze auf dem Schwanz wegträgt, zufrieden sind. Ein märkischer Magen kann alles vertragen, auch Dachsteine statt Eierkuchen! Wer lange ißt, der lebt lange! Ist alles abgegessen, gibt es schönes Wetter und das braucht der Landmann.
Die Vesperzeit ist um 16 Uhr und zur Stulle gab es neben dem Malzkaffee aus dem Steinkrug für die Männer einen kräftigen Schluck Branntwein. Im Aust, der Ernte gab es um 20 Uhr das Abendbrot, nachdem das Vieh versorgt worden war. Im Winter gab es das um 18 Uhr. Da war es schon dunkel allenthalben. Leute die oft nach der Uhr sahen, die mochte der Bauer nicht. Glockenzähler wurden die genannt. Wegen der Grütze oder Brotsuppe am Abend zur wechselnden Zeit, wurde eine unregelmäßig gehende Uhr eine die nach Brotsuppe geht genannt. Aber gerne wurde als Magenpflaster die Pellkartoffeln mit der Stippe genommen. Die Stippe wurde aus dunkelem Roggenmehl mit Speck und Zwiebeln in der Pfanne abgeröstet und mit Kaffee zur Soße gelöscht, um deren Schale die heißen Pellkartoffeln geschüttet waren, die gepellt mit dem Messer in die Soße von allen am Tische Sitzenden gestippt wurden. Ein durstigmachender Hering fand auch gerne Abnehmer zu den Pellkartoffeln. Kleine Kinder durften beim Essen, oft im Stehen, nicht nölen, es ging vom Kaiser bis zum Bettelmann. Besonders das Salz durften sie nicht verschütten. Es gäbe Ärger und für jedes verschüttete Korn müßten sie einmal eine Stunde vor der Himmelstüre in der Kälte stehen. Das Salz als wichtigstes Gewürz bannte im Volksglauben die Geister, konservierte das eingepökelte Fleisch und sogar Spatzen und Hasen konnte man damit fangen, so es gelingt, es denen auf den Schwanz zu streuen! Die großen Feste legte man in die arbeitsärmere Zeit. Feiern braucht Zeit, wenn sich getreue Seelen zu Wasser und zu Lande treffen. Zu Tische sind nie dreizehn Gäste zu bitten, denn der Dreizehnte ist „feige“ und zum Tode bestimmt. Die bunte Reihe ist beliebt, jede Dämlichkeit neben einer Herrlichkeit an der grünen oder schmucken Seite, nicht an der Waschlappenseite! Unverheiratete dürfen nicht an der Tischecke sitzen, - sie bekämen eine Bucklige zum Weibe und auch nicht am Ende der Tafel ohne Nachbarin. Denen würde das warten auf die Ehe lang werden. Von sieben Jahren ist da die Rede. Genüßlich läuft allen das Wasser im Munde zusammen. Sie sitzen hoch und trocken, leben wie Gott in Frankreich und besser als auf dem Neustädtischen Markt in Brandenburg. Die Alten nehmen sich Zeit zwischen den Gängen und wandeln in ihrer Vergangenheit. Das Trinken wird nicht vergessen. Die Fische wollen schwimmen und am Hechtkopf erklären sie den Jungen das Zimmerwerkzeug des Joseph. Was der Bauer nicht kennt, daß frißt er nicht.Aber aus Neugier probiert er es und bleibt dabei, weil es daheim so etwas kaum gibt. Wegen der Verdauung wird oft geprostet und sagt einer, jetzt trinkt der Schulte, so nimmt er den doppelten, gar dreifachen Schluck. Doch Schulte ist er darob noch lange nicht. Geschüttelt wird sich nach jedem Schnaps. Wer kaum noch gerade stehen kann, der muß auf die Ritze gehen oder den Strich.
Diese Funktion bietet die Dielenfuge und nicht was anderes Gedachtes. Aber Selters oder Wasser zu trinken wird abgelehnt. Davon gäbe es Läuse im Bauch oder man könne weit gucken , aber schlecht laufen. Nach Mitternacht da werden die Bauern lustig. Je öller, je döller! Die Alten sind zwar steif und Krumm, die Jungen sind noch faul und dumm. Nach wem die nur geraten sind? Ein dreispänniger Munter- macher ist ein Mokka, wo man noch die Bohnen am Grunde sieht. Den Männern wird die Tasse oft übervoll gegoßen mit einem Fußbad auf der Untertasse. Das nennt man eine „Bammsche“ nach einer Jungfrau von dorten, die dies talentiert zu wege brachte. Ledigen wurde nie zugegossen, das verlängerte die Wartezeit zur Ehe. Kalter Kaffeedampf macht hübsch und eine Blase obenauf deutet auf eine Kußerwartung. Bei einer Feier wird die Tabakpfeife geschont. Es gibt ja Zigarren und das Etui dafür ist leer und hat Platz für alle Wochentage. Ist der Saal blau und den Frauen tränen die Augen, tut man es ab mit einem: „Rauchfleisch hält sich gut! Zum Tanze wurde aufgespielt vom Quartett der Umgebung.
In Garlitz war die Tanzfläche voll mit Jung und Alt wenn der Dorfschlager gespielt wurde:
Bauer bind den Pudel an, daß er mich nicht beißen kann,
beißt er mich verklag ich dich, tausend Taler kostet es dich!
Am Ende sagt der Gastgeber: „Wisch dir das Maul, sei zufrieden und wackele mit deinem Stert!“
Immer ist zuviel angerichtet worden zur Feier, drum nehmt es den Gören mit. Holt Papier aus der Küche. Dort wird der Pottkieker von den Küchenfrauen umringt, die ihm eine Schürze fesselnd umbinden.
Ein Biergeld kann ihn erlösen. Sträubenden hängen die Küchen- husaren mit rußigen Fingern einen Küchenzettel an die Visage.
Wohlgeschmack bringt Bettelsack!
Wer ißt was er nicht hat, der wird doll!
Aber lieber flott gelebt, als ewig gestümpert!
Und bei Feiern müßt mein Magen so groß wie eine Scheune sein
und ein Tass near an! Diese Redewendungen wirkten einst im klangvollen Plattdeutschen.
Viele Erfahrenswerte haben sich aus der vorchristlichen Zeit , quasi in den Genen erhalten. Der Wandel von der bäuerlichen Lebensweise in die urbane, der Verstädterung, der Industrie- gesellschaft bis zum heutigen Stadium der elektronischen Epoche, hat auch die Verzehrsgewohnheiten geändert.
Mit den Großbetrieben verschwanden die Kantinen. Die Frauen sind daheim und dürfen wieder selber kochen. Halbfertiggerichte, gar Fertiggerichte sind zur Hand, der Gefrierschrank hat immer geöffnet. Die noch Arbeitenden eilen mit der Uhr in der Hand zum Pausen- oder Stehsnack. Wie darauf Magen und Darm, beim Raucher auch noch die Lunge reagieren wird, zeigt denen die Zukunft.
Jede Generation macht ihre Fehler, weiß alles besser und sägt an dem Ast, worauf sie sitzt. Vom Lehrgeld und ewigen Leben ist keine Rede mehr und die da oben, die denken sich ihren Teil. Wer keine Rente bekommt, der wirkt entlastend auf die Haushalte des Staates. Alle wissen es, geben es aber nicht zu, daß alle nur ihre Zeit haben auf dieser Welt und die Meisten ihr Ende mit Messer und Gabel erreichen werden, worauf das Zuviele wie auch das Zuwenige dem Körper mit seinen Organen zu schaffen machen kann.
Solange aber noch alles stimmt, liebe Leute, -
da laßt es euch weiterhin schmecken!
Copyright: Dr. Heinz-Walter knackmuß, 06.04.2011