51-Landin- Der Tod der Jenny von Grotthuss am 01.05.2021
51. Der Tod der Jenny von Grotthuss
Jenny von Grotthuss
Der letzte Herzog von Kurland hieß Peter Biron (*1724 -
† 1800) und regierte Kurland von 1769 -1795. Die Zarin Katharina II. von Russland kaufte ihm das Herzogtum 1796 gegen eine hohe Summe ab und so gehörten Livland, Estland und Kurland zum Zarenreich.
Die zaristische Herrschaft dauerte bis 1918 an. Die Dominanz der russischen Zaren war allgegenwärtig, denn das Zarenreich reichte von Warschau bis nach Finnland. Ganz Finnland gehörte damals zu Russland.
Russland 1905
Die Deutschen in diesen drei Staaten Kurland, Livland und Estland hatten aber Privilegien und eine Sonderstellung, denn die Zaren brauchten die Deutschen. Das Zarenhaus war ja auch mit dem Deutschen Kaiserhaus eng verwandt. Der Preußische König Friedrich Wilhelm III., empfing Zar Alexander I. am 25.10.1805 zu einer Parade auf dem Platz „Am alten Königstor“ in Berlin, der danach in Alexanderplatz umbenannt wurde und bis heute so heißt. Die Deutschen waren in erster Linie Praktiker. Die baltischen Deutschen waren noch mehr Deutsche als die Deutschen in Deutschland selbst. Genusssucht und unbändige Arbeitskraft sowie eine Herzenswärme waren typisch für den deutschstämmigen baltischen Adel. „Plus être que paraitre,“ mehr Sein als Schein war ihr Lebensmotto. Seit 1795 war den Deutschen im Baltikum die Ausübung des Evangelischen Glaubens, deutsches Recht, deutsche Gerichte, deutsche Verwaltung des Landes und Deutsch als Amtssprache garantiert worden. Zar Alexander III. (1881 -1894) verweigerte die Bestätigung der Privilegien für die Deutschen und forcierte die Russifizierung seiner Provinzen. Als 1905 das russische Kaiserreich eine Niederlage beim Krieg gegen Japan hinnehmen musste, kam es zu revolutionären Unruhen im ganzen Zarenreich. Im Baltikum haben die Russen versucht, die Letten gegen die Deutschen aufzuhetzen und viel Güter wurden verwüstet. Der deutsche Adel entfloh nach Deutschland. Als der Zar wieder einige Freiheiten bewilligte, kamen die Deutschen sofort wieder ins Land und eröffneten Schulen und Verwaltungen wie früher. Carl Friedrich Baron von Grotthuss (*11.07.1833 in Rothof - † 12.04.1905 in Spahren) kaufte das Gut Spahren 1860. Sein Sohn Otto Baron von Grotthuss wurde 19.11.1869 in Spahren geboren, was für die Eltern eine große Freude war. Von 1886 – 1888 war er auf dem Gymnasium in Goldingen und legte hier sein Abitur ab. 1889 – 1893 ging er an die Universität in Dorpat und studierte Jura. Als Student schloss er sich der kurländischen Landsmannschaft „Curonia“ an und bekam so Kontakt zu allen Söhnen des baltischen Adels. Das Curonia-Korps hatte den Wahlspruch: Mit Kurland und seiner Eigenart steht und fällt CURONIA! Die Farben der Curonia waren Grün-Blau-Weiß. Von 1893 – 1894 arbeitete er als Notar für den Baron von der Osten-Sacken in Talsen. Er heiratete am 06.01.1895 Jennny Baronesse von Buchholtz, die 1870 in Kimahlen geboren worden war.
Jenny und Otto Baron von Grotthuss
Otto Baron von Grotthuss arbeitete seit der Eheschließung 1895 in Goldingen als Notar. Von 1899 – 1906 war er Besitzer von Klein -Wirben. Die Eltern von Otto Baron von Grotthuss bewirtschafteten ein Gut in Spahren, dessen Leitung der Sohn Otto Freiherr von Grotthuss von 1905 -1921 innehatte. Von 1901 – 1906 war er auch dort Kirchenvorsteher und Ehrenfriedensrichter. Im Baltikum
waren 80-85 % der Rittergüter in Adelshand. Die Größe eines Gutes betrug ca. 2500 ha einschließlich Wald und Moor. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte die lettische Regierung am 24.09.1920 alle Gutsbesitzer enteignet und ihnen nur das Herrenhaus mit allen Ställen und Scheunen, den großen Garten und den Schlosspark und einen See von 17 ha sowie 50 ha Land belassen. Otto Baron von Grotthuss hatte als Jurist vorahnend schon einen kleineren Teil des Besitzes auf seine Schwägerin Anna von Buchholtz und seine Frau Jenny im Kataster übertragen lassen, so dass er doch insgesamt 109,4 ha mit 40, 4 ha landwirtschaftlicher Fläche bearbeiten konnte. Die Eltern klammerten sich natürlich an diesen Rest des verbliebenen Gutes und versuchten nicht ohne Erfolg, das große Haus im Sommer an Feriengäste zu vermieten. Jenny und Otto Baron von Grotthuss kehrten, nachdem sich alles politisch etwas beruhigt hatte 1923 nach Spahren zurück. Ein Mitarbeiter des Gutes Slawo hatte derweil das Gut verwaltet und sie fanden bei ihrer Rückkehr alles unversehrt vor. Das Haus füllte sich nun mit Verwandten, Studenten, Städter, Pensionären, Urlaubern, Jäger, Angler, die glücklich waren, sich in einer so schönen Umgebung zu erholen. 1939 mussten Jenny und Otto Baron von Grotthuss das Gut Spahren aufgeben und verließen mit gepackten Sachen ihre Heimat, die die Familie seit 1905 bewohnt hatte. Alle Deutschen mussten unter der Lügenparole „Heim ins Reich“ das Baltikum verlassen, so schrieb es der Hitler-Stalin-Pakt vor. Jenny und Otto Baron von Grotthuss kamen in ein Auffanglager nach Schönlanke und sollten da warten. Es gab natürlich Besuche in Landin bei der Tochter und in Schlossberg. Am 06.08.1940 annektiert die Sowjetunion alle baltischen Staaten. Nach einem entsprechenden Ultimatum wandelte der grausame Despot Stalin die Länder Estland, Lettland und Litauen in Sowjetrepubliken um. Die Nazis wollten nun das Wartegau mit Deutschen besiedeln und so gelang es Harald, dem ältesten Sohn von Jenny und Otto Baron von Grotthuss für seinen Vater das Gut Luszczewo zu bekommen. Der Reichsführer-SS Heinrich Himmler hatte festgelegt, dass Baltendeutsche 500 ha erhalten sollten. Als Jenny und Otto Baron von Grotthuss in Luszczewo ankamen, war alles verkommen. Die Nazis, die die polnischen Arbeiter als Untermenschen betrachteten, hatten ihnen keine Löhne gezahlt und so stahlen sie alles, was sie brauchten. Die Grotthussens ließen alles wieder in Stand setzen und bezahlten die polnischen Arbeiter ordentlich. Von 1942 -1944 arbeitete das gut wieder rentabel. Die Nazigrößen führten sich wie Eroberer auf und trugen sehr zum Hass auf die Deutschen bei. Die Vorbesitzer vom Gut Luszczewo hatten die Nazis vertrieben und so lebte die Familie mit fremden Möbeln und fremden Geschirr. Als man das eingelagerte Geschirr der Familie von Grotthuss nachschicken ließ, kam nicht ein Stück heil an. Am 20.01.1945 musste die Familie das Gut Luszczewo vor der herannahenden Roten Armee verlassen. Jenny und Otto Baron von Grothuss übergaben dem polnischen Verwalter, den sie 1941 eingestellt hatten, die Schlüssel und baten ihn, dem rechtmäßigen Besitzer einen Brief zu überreichen. Der Brief enthielt die Inventarliste und die Botschaft, dass sie sich nur als Treuhänder und nie als Besitzer des Gutes gefühlt hatten. Jenny und Otto Baron fuhren nach Landin und quartierten sich bei ihrer Tochter Alice im Schloss ein.
Lindenallee zur Landiner Dorfkirche
Der General von Hake hatte den Bewohnern im Landiner Schloss dringend empfohlen, in den Westen zu fliehen, was Alice und Wichard von Bredow auch taten. Jenny und Otto Baron von Grotthuss und die Schwestern von Wichard von Bredow, Vally und Elsa wollten aber unbedingt im Schloss bleiben. Uns alten Menschen werden die Russen nichts tun, meinten sie voller Naivität. So bestiegen Alice und Wichard von Bredow schweren Herzens das Auto und verließen das Landiner Schloss am 23.04.1945. Als die Russen am 01.05.1945 kamen, plünderten sie die verbliebenen Schlossbewohner vollkommen aus und ein polnischer Zwangsarbeiter steckten das Schloss Landin am gleichen Tag um 22:00 Uhr in Brand. Zuerst wurde die große Scheune in Brand gesteckt. Das Feuer griff auf den Hühnerstall und dann auf das Schloss über. Otto Baron von Grotthuss musste seine Stiefel ausziehen, die sich ein russischer Soldat sofort anzog. Danach verbrachten Jenny und Otto Baron von Grotthuss drei Tage und drei Nächte im Keller des Nachbarn Mewes, wo alle Augenblicke Russen kamen die Sachen durchwühlten und noch den Rest der Habe entwendeten. Auch das Kleine Haus gegenüber dem Schloss wurde vollkommen ausgeraubt.
Das Kleine Haus in Landin
Endlich fanden sie eine Bleibe beim Melker Wenger. Es gab wenig zu essen und jede Nacht kamen Soldaten, die auch das Letzte, was sie noch hatten, stahlen. Es gab einmal die Woche Minirationen von Brot, Butter und Quark. Richtig satt wurde man davon nicht. Einmal in der Woche brachte Frau Wenger einen Teller Erbsensuppe, was dann ein Hochgenuss war. Sie beide magerten ab bis auf die Knochen, denn es gab kein Fett. Die Ärzte stellten überall Mangelernährung fest. Am 27.10.1945 konnten die beiden nach Kriele zum Schneidermeister Grünwald umziehen. Jenny Baronin von Grotthuss hatte sich noch in Landin nachts an einem Bettpfosten am linken Unterschenkel verletzt. Die Wunde wollte und wollte nicht heilen und entzündete sich immer mehr. Durch die Mangelernährung hatte sie kaum noch Widerstandskraft. Sie kam ins Krankenhaus nach Friesack, aber da war die Ernährung auch nicht besser, sodass sie am 25.12.1945 starb. Ihr Mann Otto Baron von Grotthuss ließ sie in einem Doppelgrab in Friesack beisetzen und floh im März 1946 zu seiner Tochter Alice in den Westen. Dort war es ihm vergönnt, die Heimkehr seines Sohnes Harald Freiherr von Grotthuss am 01.01.1954 aus russischer Kriegsgefangenschaft zu erleben. Kurz danach brach er sich bei einem Sturz den Oberschenkel und starb trotz Krankenhausbehandlung in Warburg am 19.02.1954 in Willebadessen. Am 23.02.1954 fand die Trauerfeier im Kreuzgang des Schlosses Willebadessen, Kreis Warburg, in Westfalen statt, wo viele Familienmitglieder beim Freiherrn von Wrede Unterkunft gefunden hatten.
Von rechts nach links: Ferdinand Baron von Behr, Harald Baron von Grotthuss, Jürgen von Bredow, Friedrich Wilhelm Baron von Buchholtz (auch als Corone), Wolf-Dieter von Klinggräff, Fred Baron von Grotthuss, Hubertus von Bredow.
Der Sarg wurde von den Söhnen, Enkeln und Neffen aus dem Schloss getragen. Spalier standen die Förster und Jäger, um auch dem Waidmann Otto Baron von Grotthuss einen letzten Gruß zu geben. Die Jagdhörnen bliesen ihm auch ein Halali. Es war ein schlichter Sarg, der auf dem Deckel mit dem Band der Curonia geschmückt war: Grün-Blau-Weiß. In der Friedhofskapelle stimmten alle das Lied der Curonen an, dass von C.G. Naumann gedichtet worden war.
Ist einer unsr´er Brüder dann geschieden,
vom blassen Tod gefordert ab,
so weinen wir und wünschen Ruh´ und Frieden
in uns´res Bruders stilles Grab!
Wir weinen und wünschen Ruhe hinab
in uns´res Bruders stilles Grab.
Die Trauergäste vor dem Schloss Willebaldessen
(Alice von Bredow 7.von links)
Der Sarg fand zunächst seinen Platz in der von Wredeschen Familiengruft. Die Familie stellte einen offiziellen Antrag an die Behörden der DDR, den Sarg nach Friesack zu überführen, wo er neben seiner lieben Frau begraben werden wollte. Der Stadtrat von Friesack lehnte den Antrag zuerst ab. In der Sitzung ging es hoch her. Ein SED-Bonze sagte: „Lebend kommen die Junker nicht zurück auf ihre Güter, nun wollen sie als Leichen kommen.“ Aber zum Schluss stand ein SED-Genosse auf und rief: “ Na und, habt ihr jetzt schon Angst vor einem toten Baron?“ Und so erfolgte doch noch die Freigabe der Überführung des Sarges und eine Bestattung auf dem Friesacker Friedhof. 1991 ließen die Enkel einen Grabstein auf dem Landiner Friedhof errichten, denn Landin war doch eigentlich durch die Nähe zu ihrer Tochter Alice auch Heimat für die Familie von Grotthuss geworden, bis sie die Russen auch aus diesem Haus vertrieben.
Grabstein der Familie von Grotthuss
auf dem Landiner Friedhof
Nun erinnert nur noch ein Grabstein an das Schicksal der Jenny Baronin von Grotthuss. Aber sie steht nur stellvertretend für eine ganze Generation von Menschen, denen eine Bande von skrupellosen Verbrechern Tod, Armut und Verlust ihrer Heimat brachte. Sie verführten die Menschen mit ihren nationalistischen Hassparolen und waren doch nichts weiter als widerwärtige Despoten und Mörder.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.05.2021
Ich danken Otto Freiherr von Grotthuss für die Unterstützung und für die leihweise Überlassung des Buches von Max-Wichard von Bredow „Spahren – ein Gut in Kurland“, aus dem das meiste mit kleinen Veränderungen zitiert wurde.