23-Landin-Lisa Gretzinger fliegt nach Moskau am 01.01.2019
23. Lisa Gretzinger fliegt nach Moskau
Lisa Gretzinger war eine LPG-Bäuerin, die fleißig die Milchsammelstelle hinter ihrem Haus betreute. Ihr Haus stand in der Bergstraße 8 in Landin nur ein paar Schritte von ihrer Arbeitsstelle entfernt. Ihr zu früh verstorbener Mann hatte ihr ein tüchtiges Geldpolster hinterlassen, mit dem sie gut zurechtkam. Die zwei Söhne, Günter und Werner, gingen ihrer Wege und nur Lenchen Lüpke, ihre Schwester aus Spaatz, kam ab und an zu Besuch und brachte ihren Haushalt wieder auf Vordermann. Sie war eine fleißige und gutmütige Frau und versuchte mit allen Menschen in Frieden zu leben. Sie hielt sich auch zur Kirche und kam jeden Sonntag zum Gottesdienst, wenn denn in Landin Kirche war. Sie spielte auch gern Karten und verbrachte viele Sonntage besonders im Winter und wenn es ihre Arbeit erlaubte bei Hertha Brunow und spielte mit ihr und ihren Gästen bis spät in die Nacht Canasta oder Rommé. Ihren Mann hatte sie herzlich geliebt. Er war ein sehr geschickter Mensch und reparierte viel in der kleinen Wirtschaft selbst. Es waren glückliche Jahre für Lisa.
Lisa Gretzinger mit ihrem Mann August
am Hochzeitstag 30.11.1946
1975 hörte sie, dass Elfriede und Walter mit Lucie Ulrich aus Rathenow nach Moskau fliegen wollten. Lisa hatte schon immer den Wunsch, einmal in ihrem Leben zu fliegen und so fragte sie die Drei, ob sie nicht mitkommen könnte. „Selbstverständlich kannst Du da mit,“ sagten sie und so wurde ein neuer Koffer gekauft, neue Schuhe und ein neuer Mantel. Dann ging es nach Berlin-Schönefeld zum Flughafen, wo die Reise starten sollte. Lisa hatte eine große Goldkette mit einem Topas umgelegt und gleich beim ersten Sicherheitscheck bimmelte es im ganzen Flughafen, dass ihre Freundin Luci Ulrich schmunzelt rief: „Lisa rück Deine Pistole raus!“ Erst als die Halskette abgelegt wurde, konnte sie ohne Beanstandung das Sicherheitstor passieren. In Moskau wartete ein Bus und eine Reiseleiterin auf die kleine Reisegruppe von 20 Menschen und zeigte ihnen die touristischen Attraktionen. Natürlich musste man zum Mausoleum und dem Lenin die letzte Ehre erweisen. Lange Schlangen von Russen standen vor dem Mausoleum und warteten geduldig, bis sie an der Reihe waren. Die Ausländer wurden immer vorgelassen. Rechts und links standen Soldaten als Ehrenformation und bedeuteten den vorbeiziehenden Menschen still zu sein. Walter hatte mit Eisen beschlagenen Schuhe an, die bei jedem Schritt auf dem Marmorfußboden klirrten, was die Soldaten sichtlich verwirrte. Walter tat aber so, als ob ihn das nicht beträfe. Ein Blick auf den toten Lenin und dann war dieser Akt vorüber und man konnte sich dem Kreml und den schönen Kirchen von Moskau zuwenden. Die Pracht der russisch-orthodoxen Kirchen ist unübertroffen und natürlich lockten die Kommunisten auch ihre Besucher mit diesen prächtigen Bauten an. Die Kathedrale des Heiligen Basilius gehörte dazu, wie eine geführte Metro-Tour, wo man die Pracht der Bahnhöfe bewundern konnte. Am schönsten empfand Lisa den Gesang der russisch-orthodoxen Kirchenchöre. So etwas Schönes hatte sie noch nie in ihrem Leben gehört. Die Reiseleiterin führte sie auch in das Kaufhaus GUM, wo es nur so von Menschen wimmelte. Sie hatte sich bei Luci Ulrich eingehakt und beschaute die Auslagen rechts und links und wandte ihr Gesicht zur Luci und sagte: „Luci kuck mal hier, die Tasche ist doch sehr schön.“ Erschrocken zog sie sofort ihre Hand zurück, denn in dem Gedränge hatte sie sich inzwischen unbemerkt bei einem Russen untergehakt, der ebenso lachte wie sie. Die Reiseleiterin hatte der Gruppe gesagt: „Wenn Sie etwas kaufen wollen, müssen Sie es erst bezahlen und dann zum Verkäufer gehen, der Ihnen die Ware aushändigt.“ Andere Länder - andere Sitten, dachte sich Lisa und kaufte eine Matroschka. Das sind solche bemalten Holzpuppen, in deren Inneren immer eine noch kleinere Puppe enthalten ist. Untergebracht war die Touristengruppe in einem Hotel im Stadtteil Ostankino neben dem 537 m hohen Fernsehturm von Moskau. Der Reisebus holte sie nach dem Frühstück, das in einem Rokokosaal des Hotels serviert wurde, ab und brachte sie auch wieder dorthin zurück. Ein Theaterbesuch stand auf dem Programm und da ging es ins Bolschoi-Theater zum Ballett „Schwanensee“. Es gab wenig freie Zeit. Die Reise war gut durchprogrammiert worden. Manchmal gab es aber doch ein bis zwei Stunden Freizeit im Zentrum der Stadt Moskau, wo die Besucher in Cafés oder in die Kaufhäuser allein gehen konnten oder einfach frische Luft schnappten. Bei diesem Spaziergang hielt ein Auto vor Lisa an. Eine Frau stieg aus und redete auf sie ein. Dabei betastete sie immer Lisa´s Mantel und zeigte ihr Geld. Lisa begriff erst allmählich, dass die Frau ihr den Mantel auf offener Straße abkaufen wollte. Als sie energisch den Kopf schüttelte und sie von sich wies, stieg die Frau wieder in das Auto und fuhr weiter. Lisa und ihrer Begleiter hatten so etwas noch nie erlebt und sprachen noch lange über diesen Vorfall.
von links: Lisa Gretzinger, Elfriede K., Lucie Ulrich und Walter K.
in Moskau
Nach drei Tage wurde die Touristengruppe wieder zum Flugplatz Domodedowo gefahren und flog nach Leningrad, wo das Besichtigungsprogramm fortgesetzt wurde. Es ging zum Panzerkreuzer Potemkin, in das Winterpalais und nach Rasliw, wo Lenin angeblich in einer Grashütte gehaust hatte. Auch wurde ein Ausflug zum Schloss Peterhof gemacht. Die Sommerresidenz Peter I. ist ja eine Pracht aus Wasserspielen und Gold. Vor dem Rückflug gab es eine Verzögerung. Es war ein Schaden am Motor des Flugzeugs festgestellt worden und die Touristen schimpften, dass sie ihre Anschlüsse in Berlin nicht mehr erreiche konnten. Ein gut Deutsch sprechender Offizier des Flughafens in Leningrad kam nach den Beschwerden zu der kleinen Gruppe und erklärte, dass man den Schaden beheben wolle und fragte dann hinterlistig: „Oder wollen Sie fliegen mit Defekt?“ Das wollte natürlich keiner. Lisa wollte noch ein paar Brötchen, am Flughafen kaufen, da es Sonntag war und sie in Landin nicht einkaufen konnte. Die Verkäuferin versuchte sie gestikulierend von dem Brötchenkauf abzubringen, aber Lisa ließ sich nicht beirren. Sie kaufte sieben Brötchen. Im Flugzeug kostete sie eines und nun wusste sie, warum ihr die Verkäuferin die Brötchen nicht mitgeben wollte. Sie waren alle mit Sauerkraut gefüllt, was unserem Geschmack nicht so vertraut ist.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.01.2019