24-Landin-Die Bötfrau von Landin am 01.02.2019
24-Die Bötfrau von Landin
Bötfrau Anni
Anna Amalia Fischer lebte mit ihrem Mann und den drei Kindern am Rande des Dorfes in Landin. Ihr Mann war früh gestorben und so bewirtschaftete sie mit ihrer alten Mutter Elsbeth Sydow das kleine Anwesen, als die Kinder aus dem Haus waren. Ihre Mutter war eine „weise Frau“, wie man das so sagte, denn sie sammelte das ganze Jahr hindurch Kräuter, Wurzeln und Früchte und verarbeitete sie zu Tees und heilkräftiger Salben oder Tropfen. Sie hatte Ringelblumensalbe für die schlecht heilenden Wunden. Die Blüten der Ringelblume kochte sie mit Schweineschmalz und goss das flüssige Schmalz durch ein Sieb in kleine Gläser und verabreichte es ihren „Kunden“. Im Haus hatte sie ein kleines Zimmer eingerichtet mit sieben Stühlen auf der einen Seiten und einem Stuhl auf der anderen Seite. Wenn Menschen zu ihr kamen, um ihren Rat einzuholen, setzte sie sich auf den einzigen Stuhl an der Wand, bat ihre Besucher auf der langen Stuhlreihe Platz zu nehmen und fragte: „Wat kann ik voor di duun?“ Manchmal kamen auch aus den umgebenden Dörfern und aus Rathenow Menschen mit allerlei Gebrechen zu ihr. Sie starb mit 89 Jahren und vermachte ihr Wissen an ihre Tochter, die nun die „Bötfrau“ im Dorfe wurde. Anna war oft mit ihr unterwegs gewesen und hatte mit ihr Kräuter gesammelt und kannte sich in den Wiesen, Wäldern und Feldern um Landin aus. Sie war mit der Kunst ihrer Mutter aufgewachsen und da sie eine gute Auffassungsgabe hatte, war sie bald genauso gut, wie ihre Mutter. Das Böten oder Besprechen, wie die Leute sagten, hatte sie nun übernommen. Die meisten Menschen kamen zur Behandlung der Gürtelrose zu ihr. Sie kannte auch den Spruch, um diese Krankheit zu heilen und murmelte ihn während sie die Hand über die die entzündeten Areale führte, für ihre Kunden unhörbar vor sich hin: „Rose, Rose weiche! Flieh in eine Leiche!“ Der Spruch musste dreimal gesprochen werden und dann wurden die Patienten für die nächsten zwei Wochen noch einmal bestellt, sodass insgesamt neunmal der Spruch über der erkrankten Stelle gesprochen wurde. Manchmal, wenn die Gürtelrose sehr schlimm war, empfahlen auch die Ärzte, den Patienten zu einer Böt- oder Kräuterfrau zu gehen. Es gab in den Dörfern in der Umgebung überall Männer und Frauen, die diese Kunst verstanden. Viele Leute kamen auch mit Warzen zu ihr. Dann bestellte Anna die Patienten erneut in einer Vollmondnacht und nahm die betroffene Körperstelle, meistens Hände oder Füße in ihre Hand und sagte einen Spruch. Anni, wie sie im Dorf genannt wurde, hatte schon in allen Haushalten ihr Wissen anwenden müssen. Sie hatte ausgezeichnete Hustentropfen und hatte auch die richtigen Tropfen und Tees, wenn im Alter das Wasser in den Beinen war. Für das Bauchweh der Babys verordnete sie Kümmeltee. Der Doktor aus der Stadt schrieb immer hohe Rechnungen und wer konnte sich das schon leisten außer ein paar reichen Bauern und der Familie von Bredow. So hatte sie ihr Auskommen, denn die Landiner zahlten gern mit Eiern, Gänsen, Enten oder auch mit Kartoffeln oder einem Sack Mehl. Der Förster lieferte ihr für ihre Dienste das Brennholz für den Winter. Sie wurde auch gerufen, wenn die Kühe verkalbten oder nicht mehr fressen wollten. Oft wusste sie Rat, aber das war nur die Ausnahme. Ihre Salben und Kräuter waren doch in erster Linie für die Menschen bestimmt. Die Landiner dankten es ihr auf vielfältiger Weise und verehrten sie bis zu ihrem Tode wie eine weise Frau.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.02.2019