27-Landin-Der LPG-Vorsitzende Johann Bauer am 01.05.2019
Katharina und Johann Bauer
Die LPG „Freie Scholle“ in Landin hatte von 1952 – 1970 Johann Bauer zum Vorsitzenden gewählt. Johann Bauer war am 14.12.1906 in Fürstenthal im Kreis Radautz in der Bukowina in Rumänien geboren. Es war eine katholische deutschsprachige Enklave in Rumänien, wo die Menschen mit Waldarbeiten ihr Täglich Brot verdienten. In der Österreichisch-Ungarischen Monarchie gehörte Siebenbürgen noch zum Königreich Ungarn und die Bukowina war direkt hinter der östlichen Grenze des ungarischen Königreiches gelegen und gehörte wie das noch etwas östlicher gelegene Bessarabien zu Rumänien.
Königreich Ungarn
Er besuchte vier Jahre die deutsche Schule in seinem Dorf und ging dann mit seinem Vater schon in den Wäldern der Umgebung, um dort mitzuarbeiten. Er musste auch vier Jahre seinen Wehrdienst in der rumänischen Armee absolvieren. Johann Bauer verliebte sich in Katharina Stadler, geboren am 15.11.1908, die er schon aus der Schule kannte. Sie war inzwischen Hausangestellte bei einer Arztfamilie. 1932 gaben sie sich in er kleinen Kirche in Fürstenthal das Jawort und der Priester segnete ihren Ehebund.
Römisch-Katholische Kirche in
Fürstenthal
Am 24.12.1933 wurde dem Ehepaar die Tochter Anna, am 27.11.1936 der Sohn Rudolf, am 06.05.1939 die Tochter Therese und am 22.10.1940 die Tochter Erika geboren und in der kleinen katholischen Dorfkirche in Fürstenthal getauft. 1940 musste die Familie ihre Heimat verlassen und wurde nach Bollesczyn, Kreis Litzmannstadt (Lodz), umgesiedelt. Dort wurde am 07.08.1943 Otto Bauer als fünftes Kind der Familie geboren. 1945 musste die Mutter mit den Kindern fliehen und kam nach Pessin im Kreis Westhavelland. Dort wurde am 15.08.1945 der Sohn Bernd geboren. Johann Bauer war 1942 von der Wehrmacht eingezogen worden und musste an die Front nach Frankreich, wo er das rechte Auge durch einen Granatsplitter verlor.
Johann Bauer (links) in Litzmannstadt
1945 geriet er in Amerikanische Gefangenschaft und kam nach der Entlassung nach Landin. Katharina Bauer hatte in Pessin erfahren, dass ihr Schwager Rudolf Gnad Revierförster in Landin war. Er hatte in Fürstenthal (Bukowina) die Schwester ihres Mannes, Ottilie Bauer, geheiratet. Ebenso hatte sich ihr Schwager Karl Gaschler in Landin angesiedelt, der die Schwester Leontine ihres Mannes geheiratet hatte. Johann Bauer wohnte nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 -1945) mit seiner Familie im Schloss in Landin und erhielt durch die Bodenreform etwas Land und baute 1949 ein Neubauernhaus in der Steinstraße 1 in Landin.
Neubauernhof Steinstr. 1 in Landin
Er trat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei und wurde nach der Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) „Freie Scholle“ deren Vorsitzender.
Der LPG-Vorsitzende Johann Bauer (links)
mit Iris Hünicke
vor dem LPG-Büro in Landin
Mit der SED gab es hin und wieder Reibereien, denn seine Frau hatte bestimmt, dass man nicht aus der Katholischen Kirche austrat, was für SED-Mitglieder ungewöhnlich war, da das Statut der SED das Bekenntnis ihrer Mitglieder zum Atheismus forderte. Am 22.07.1951 wurde die jüngste Tochter Gisela in Landin geboren. Johann Bauer saß im Sommer gern mit seiner Frau vor dem Haus und erzählte mit ihr bis spät in die Nacht.
Familienbild
(von links: Otto Bauer, Bernd Bauer, Therese Bauer, Erika Bauer, Anna Bauer, Katharina Bauer, Johann Bauer)
Nach dem Kriege mussten die Menschen stundenlang ohne elektrischen Strom auskommen. Die so genannten „Stromsperren“ waren für den Familienmensch Johann Bauer schöne Zeiten. Er versammelte alle Familienmitglieder um sich, zündete eine Kerze an und erzählte selbst ausgedachte Geschichten. Sie waren voller Schalk, und die andächtig zuhörenden Kinder merkten erst viele Jahre später, dass der Vater geflunkert hatte. Er sprach viel über den Wald und von den Bäumen, mit denen er in der Bukowina aufgewachsen war. In einer Geschichte erzählte er den Kindern von einem Waldarbeiter, der sich so über etwas erregt hatte, dass er sich die rechte Hand abhackte. Das ärgerte ihn noch mehr, sodass er auch die linke Hand abhackte. Dass das praktisch gar nicht möglich war, fiel den Kindern nicht sofort auf. Er las der Familie auch oft abends Geschichten aus dem Buch „Alitet geht in die Berge“ von Tichon Sjomuschkin vor. Der Roman war 1950 im Moskauer Verlag für fremdsprachige Literatur herausgegeben worden und hatte 1948 den Stalinpreis erhalten. Das Weihnachtsfest war für die Familie immer ein sehr inniges Fest. Am Heiligabend ging der Vater mit den Kindern in seinen Wald und holte den Weihnachtsbaum. Die Mutter schmückte ihn dann am Nachmittag, und abends saß die Familie beim Essen zusammen. Es gab Kartoffelklöße mit einer Soße aus weißen Bohnen mit Rauchfleisch. Während des Essens ging der Vater meist unbemerkt hinaus, und es erschienen vor dem Küchenfenster Weihnachtsgeschenke, die der Vater an der Außenseite des Fensters so vorbeiführte, dass man ihn nicht sah. Es hieß dann immer: „Das Christkind hätte die Geschenke gebracht.“
Die Neubauern hatte ja keine Maschinen und so richtete der Staat zunächst Maschinenausleihstationen (MAS) ein, die später als Maschinentraktorenstationen (MTS) den LPG´n angegliedert wurden. Katharina Bauer war Chefin des Hühnerstalls der LPG, der sich gleich hinter ihrem Haus in der Steinstr. 1 befand. Manche Wirtschaften konnten nicht mehr ordentlich betrieben werden, weil die Besitzer einfach zu alt waren. So hatte der kommunistische Staat für die Landwirte Fritz Sandberg und Otto Hünicke einen Örtlichen Landwirtschaftsbetrieb (ÖLB) gebildet, der von einem externen Landwirt geleitet wurde, um sie zu unterstützen. Als 1952 die LPG „Freie Scholle“ Landin gegründet wurde, kamen dieses Wirtschaften des ÖLB natürlich auch in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG). Die ersten LPG-Mitglieder waren Johann Bauer, Gustav Tietke, Karl Gaschler, Johann Widmeier, Albert Wachs, Berthold Radke und Karl Mutz. Zum LPG-Vorsitzenden wählte man Johann Bauer. Er war mit seinem Hut und der Zigarette eine Institution in Landin. Er fuhr immer mit einem Simson-Moped SR 2 hin und her. Meist bremste er die Fahrt mit beiden Füßen ab. Er organisierte die Zusammenarbeit der Bauern in dem kleinen Dorf. Zunächst waren ja alle Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft im Typ I. Das bedeutete, man bewirtschaftete gemeinsam die Wiesen und Felder und das Vieh hatte jeder noch als Privateigentum. Später gab es aber auch nur noch die Genossenschaften vom Typ III, wo auch das Vieh Genossenschaftseigentum war. Johann Bauer leitete die LPG sehr pragmatisch. Wenn bei den Viehzählungen von den Kontrollkommissionen Unstimmigkeiten festgestellt wurden, stand er zu seinen LPG-Mitgliedern und erklärte die zu geringe Zahl der Hühner mit dem Habicht und die fehlenden Rinder mit Notschlachtungen. Er bewertete diese Statistiken so, wie sie normale Menschen sehen sollten. Sie wurden meist für den Papierkorb produziert, und er mochte keine unnötigen Arbeiten. Die heftigste Auseinandersetzung mit der Regierung führte Johann Bauer in einem Kampf gegen die Rinderoffenställe. Er vertrat zurecht die Auffassung, dass die Kühe im Winter in einen warmen Stall gehören, wenn sie ausreichend Milch geben sollen. Die SED-Kreisleitung blieb bei dieser Kampagne hart und wollte den Neubau der Rinderoffenställe mit aller Kraft durchsetzen. Als er in der SED-Kreisleitung keine Mehrheit für seine Ziele bekam, meinte er wütend: „Dann baue ich Euch eben die Rinderoffenstellen, aber Ihr könnt sicher sein, dass ich alle Wände mit so viel Strohballen abdichte, dass die Landiner Kühe nicht frieren werden.“
Der Staat verließ sehr bald die Forderung nach dem Bau von Rinderoffenstellen, weil die Milchproduktion, wie es Johann Bauer vorausgesagt hatte, in diesem Bereich erheblich zurückging. Johann Bauer war ein fröhlicher Mensch. Er liebte seine Familie und war sehr gesellig. Bei den LPG-Festen, die in der Muchowschen Gaststätte stattfanden, war das ganze Dorf auf den Beinen. Vor der Gaststätte standen Tische und Stühle, und es war auch ein Maibaum aufgestellt. Johann Bauer konnte sehr lustig sein und trank auch mal gern einen über den Durst. Dann sang er ein Lied aus seiner Heimat, der Bukowina, was seiner Frau gar nicht gefiel.
Erika Bredendig, geborene Bauer
Wenn ich meinen Schimmel verkauf`,
dis Geld, des ich kriege, versauf`.
Do sogt mir mein Voder, dis is a Suldot,
der allas vasuffa hot.
Do sogt mir mein Vader, dis is a Soldat,
der alles versuffe hat.
Wer wird, wenn i sterb`, mit mir geh´n?
Wer wird, wenn i sterb`, mit mir geh`n?
Der Schnops und des Bier, die Gläser und s`G´schirr,
Frau Wirtin hascht* auch no mit mir.
Der Schnops und des Bier, die Gläser und`s G´schirr,
Frau Wirtin hascht a nu mit mir.
*hatscht = latscht
Wus wird auf mein Grabstein drauf steh`n?
Was wird auf mein Grabstein drauf steh`n?
Vorbei ist die Not, hier ruht a Suldot,
der ollas versuffa hat.
Vorbei ist die Not, hier ruht a Suldot,
der ollas versuffa hot.
Natürlich trat Johann Bauer bei den Parteiversammlungen der SED immer als Kommunist auf. Er war dem Fortschritt zugewandt und sogar Mitglied der SED-Kreisleitung in Rathenow. Aber im Herzen war ein Christ geblieben. Es gab für ihn andere Maßstäbe im Leben. Dazu hatte er zu viel Lebenserfahrung und seine Biografie, die ihn durch halb Europa in das kleine Landin verschlagen hatte, zeigt ja auch, dass er in vielen Situationen seinen Mann stehen musste und seine Frau Katharina, der die Hauptlast der Erziehung der Kinder in den Kriegsjahren oblag, war eine kluge, fleißige und liebenswerte Frau, die ebenso aufrecht im Leben stand wie ihr Mann. Am 05.12.1978 starb er im Alter von 72 Jahren, beweint und betrauert von seiner Frau und den Kindern. Die Trauerrede hielt Otto Kienscherf, ein Mitglied der SED-Kreisleitung und Sekretär für Agitation und Propaganda in Rathenow. Seine Frau folgte ihm am 06.05.1984 nach und wurde neben ihm auf dem Rathenower Friedhof beigesetzt. Das Requiem für Katharina Bauer hielt der katholische Pfarrer von St. Georg in Rathenow, Helmut Gentz.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.05.2019