46-Landin- Der Landfilm kommt am 01.12.2020
46. Der Landfilm kommt
Gerhard Wernicke aus Stechow
Filmvorführer
Da es nicht so viele kulturelle Höhepunkte nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) auf dem Dorf gab, hatte der Staat einen Lichtspielbetrieb gegründet. Gerhard Wernicke aus Stechow kam jede Woche einmal mit seinem Auto nach Landin. Er war als Filmvorführer beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Kreislichtspielbetrieb Rathenow angestellt. Die Filmvorführer bespielten die festen Kinos in Rathenow, Premnitz und Rhinow und fuhren einmal pro Woche auf jedes Dorf. Gerhard Wernicke war zuständig für die Dörfer Stechow, Ferchesar, Kotzen, Kriele, Landin und Nennhausen. In Landin wurde eine Leinwand in der Gaststätte Muchow sowie Lautsprechen und Stühle aufgestellt. Da half ihm immer ein Junge aus dem Dorf, der dann keinen Eintritt bezahlen musste. Alle Kinder gingen, so oft es möglich war, ins Kino. Das kostete für Kinder 50 Pfennige, aber für die Familie war das schon viel Geld. Gerhard Wernicke stellte zwei Vorführgeräte vom Typ TK 35 auf. Das bedeutete Tonkino und die Filme hatten eine Breite von 35 mm. Es gab immer eine Wochenschau, die auf eine Rolle Film passte und einen Vorfilm, der meist ein Naturfilm war, der auch auf eine Rolle passte und einen Hauptfilm, der meist auf sechs Rollen passte. Der Filmvorführer beschickte zwei Vorführgeräte und musste am Ende der ersten Rolle auf den zweiten Apparat umschalten, sodass die Zuschauer den nahtlosen Übergang nicht bemerkten. Es kamen so im Durchschnitt 30 - 40 Leute ins Landiner Kino. Um17:00 Uhr war eine Vorstellung für Kinder und um 20:00 Uhr gab es eine Vorstellung für Erwachsene. Es wurde Filme mit Hans Albers oder „Der Kahn der fröhlichen Leute“ und viele russische Filme gezeigt.
Gerhard Wernicke 2020
Gerhard Wernicke erinnert sich an viele Kinder, die in das Landiner Kino zu ihm kamen. Die Kinder liebte die russischen Märchenfilme. Ein besonders schöner Film war eine Geschichte von Nikolai Gogol. Sie hieß die „Die Nacht vor Weihnachten.“ Die Geschichte spielt in einem kleinen Dorf in Russland. Die Jugendlichen des Dorfes ziehen am Abend vor Weihnachten durch das tiefverschneite Dorf mit einem Stern und singen Weihnachtslieder und erhalten Süßigkeiten. Der Schmied Vakula hat Bärenkräfte und hat in der Kirche den Teufel ganz furchterregend gemalt. Die Mutter von Vakula ist die Dorfschöne Solocha und außerdem eine Hexe. Sie reitet auf einen Besenstiel zum Himmel sammelt die Sterne ein. Der Teufel will dem Dorf schaden und klaut den Mond vom Himmel und streut den Schnee umher, sodass man die Hand nicht vor Augen sehen kann. Er besucht die Hexe und sie stoßen auf das neue Jahr an. Den Herrgottswinkel hat die Hexe schnell mit einem Vorhang zugezogen. Wie sie beim Turteln sind, klopft es und der Bürgermeister kommt persönlich. Die Dorfschöne steckt den Teufel einfach in einen leeren Kohlensack. Kaum haben der Bürgermeister und die Solocha auf das neue Jahr angestoßen, klopft es schon wieder und der Pfarrer kommt. Die Dorfschöne steckt den Bürgermeister ebenfalls in einen leeren Kohlensack und empfängt den Pfarrer. Aber kaum wollten sie sich etwas amüsieren, klopft es schon wieder. Der reiche Kosak Tschub kommt und will mit Solocha auf das neue Jahr anstoßen. Da kommt der Sohn Vakula nach Hause zurück und so verschwindet der Vater der Oxana ebenfalls in einem Kohlensack. Vakula ist ganz benommen. Er liebt Oxana die Tochter des reichen Kosaken Tschub und die hat ihm gerade in jugendlichem Übermut erklärt, sie würde ihn nur heiraten, wenn er ihr ein Paar Schuhe schenkt, die auch die Zarin trägt. Aber trotz dieser unüberwindbaren Hürde, geht sie ihm nicht aus dem Kopf. Er sieht die Säcke im Zimmer der Mutter und sagt sich: „Morgen ist Feiertag und dann diese Unordnung.“ Er nimmt alle Säcke und trägt sie nach draußen, wo er die schöne Oxana mit den anderen Jugendlichen rumtollen sieht. Er kann vor Eifersucht gar nicht hinkucken, aber Oxana kommt mit den Mädchen zu ihm und fragt ihn scheinheilig: “Na, hast du nun die Schuhe von der Zarin?“ und lacht und lacht und zieht mit den Mädchen weiter. Er dreht sich zu ihr um und ruft ihr zu:“ Leb wohl Oxana! Such Dir einen anderen Bräutigam! Mich siehst Du nie wieder!“ Er nimmt einen von den Säcken und läuft zum Fluss. Eine Klatschbase beobachtet das und erzählt ihrer Nachbarin. Vakula hat sich ertränkt. Die Nachbarin erzählt den andern, er hätte sich erhängt. Und so ist das ganze Dorf überzeugt, Vakula hätte sich umgebracht.
Nikolaj Wassiljewitsch Gogol
(*1809 – †1852)
Oxana träumt von ihrem Bräutigam und nun wird ihr bewusst, was sie angerichtet hat und sie weint bitterlich. Aber der Schmied Vakula hat den Teufel im Sack entdeckt und verprügelt ihn so lange, bis er verspricht mit ihm nach Sankt Petersburg zur Zarin zu fliegen. Und dort reiht er sich mit Hilfe des Teufels bei den Bojaren ein und geht zum Empfang der Zarin in das Winterpalais, wo er die Pracht und Herrlichkeit bewundert und meint: „Die Märchen lügen nicht – so schön ist es hier.“ Die Zarin fragt ihr Volk, was es denn wünsche und die Bojaren antworten: „Nichts Mütterchen Russland, wir haben von allem reichlich.“ Der Schmied Vakula vergisst vor lauter Glanz fast, was er wollte, aber der Teufel erinnert ihn und nun prescht er vor und sagt: “Doch ich habe einen Wunsch. Meine Braut möchte solche Schuhe haben, wie ihr habt.“ Da lacht die Zarin und der ganze Hofstaat und die Zarin überreicht ihm ein Paar Schuhe mit Diamanten besetzt. Vakula fliegt mit dem Teufel wieder zurück in sein Dorf und geht zu Oxana. Als sie ihn sieht, fällt sie fast in Ohnmacht, weil auch sie geglaubt hatte, er wäre tot. Als er ihr die Schuhe überreicht, meint sie. Die brauche sie nicht mehr. Sie wolle auch ohne solche Schuhe seine Frau werden. Und nun treffen sich alle in der Kirche und feiern die Geburt Jesu Christi am Heiligen Weihnachtsfest. Als die ersten Fernseher in die Dörfer kamen, war das der Beginn des Endes des Landfilms. Das Fernsehen verdrängte bald das Kino und wurde zum Kulturträger Nummer 1 auch in Landin.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.12.2020