49-Landin-Das Lebensende der Alice von Bredow am 01.03.2021
49. Das Lebensende der Alice von Bredow
Alice und Dr. jur. Wichard von Bredow zur Silberhochzeit am 10.11.1942
Die Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg also von 1919 – 1939 war für Alice von Bredow eine glückliche Zeit. Sie lebten in Landin und ab 1937 war Dr. jur. Wichard von Bredow Landrat des Kreises Pillkallen in Ostpreußen, was seine Frau ganz besonders freute, war sie doch so ihrer alten Heimat Spahren ein Stück näher gerückt. 1938 wurde der Kreis Pillkallen in Kreis Schlossberg umbenannt. Pillkallen kommt aus dem Litauischen war wohl nicht Deutsch genug für die Nazis. Pilis heißt Schloss in Litauischen und Kalnas Berg. Aus dieser Zeit werden zwei wichtige Begebenheiten erzählt. Dr. jur. Wichard von Bredow hatte als Landrat des Kreises Schlossberg in Ostpreußen das Inbrandsetzen der Synagoge in Schirwindt am 10.11.1938 verhindert. Als er in einem Fernschreiben vom Gauleiter informiert wurde, dass alle Synagogen in Deutschland angezündet werden sollten, zog er seine Majorsuniformjacke an und stellte sich mit seiner Pistole vor die Synagoge in Schirwindt und erklärte den brandlüsternen SA- und SS-Trupps. Dieses Gotteshaus könnten sie nur über seine Leiche betreten. Daraufhin zogen die Nazihorden unverrichteter Dinge wieder ab. Die Synagoge blieb unversehrt. Eines der wenigen jüdischen Gotteshäuser, die nicht zerstört wurden. Die mutige Tat des Landrates blieb ohne Folgen. Der Landrat hatte ein hohes Ansehen und auch viel Macht. Er war Landrat des östlichsten Kreises des Deutschen Reiches und Schirwindt war die östlichste Stadt Deutschlands. Eine zweite Geschichte hatte für sein späteres Leben große Bedeutung. Der Rinderbauer Jürgen Früchte aus Haarstorf im Kreis Uelzen hatte in Ostpreußen Land gepachtet und hielt darauf schottische Hochlandrinder „Aberdeen Angos,“ die natürlich im Freien lebten. Ein dummer Parteibonze zeigte ihn wegen nicht artgerechter Haltung der Rinder und Sabotage der Volksernährung bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) an. Jürgen Früchte wurde verhaftet und kam in das Gefängnis nach Tilsit. Nur auf Intervention des Landrates Dr. jur. Wichard von Bredow kam er wieder frei.
Kreis Pillkallen/Ostpreußen
Als die Rote Armee immer näherkam, verließen Alice und Dr. jur. Wichard im Januar1945 Schlossberg und kehrten nach Landin zurück. Aber auch da war die Familie nicht mehr sicher und so machten sie sich am 23.04.1945 von Landin aus mit dem Auto auf den Weg in den Westen. Alice und Dr. jur. Wichard von Bredow wurden dort in ein Flüchtlingslager bei Lehnsahn (Holstein) gesteckt. Die Lebensumstände waren sehr karg. Jürgen Früchte, der Rinderbauer aus Haarstorf im Kreis Uelzen suchten seinen ehemaligen Landrat Dr. jur. Wichard von Bredow und fand ihn auch. Er holte das Ehepaar 1945 sofort aus dem Lager. Aus Dankbarkeit nahm er Alice und Dr. jur. Wichard von Bredow in sein Haus auf. Dr. jur. Wichard von Bredow wurde als Nachtwächter angestellt und Alice half in der Küche, im Haus, im Garten und auf den Feldern mit und verdiente sich so ihren Lebensunterhalt. Dr. jur. Wichard von Bredow war in der NSDAP gewesen und durfte als Nazi keine Ämter annehmen. Seine Entnazifizierung kam spät. Nachdem Wichards Pension anlief, plante das Ehepaar von Bredow 1951 nach Willebadessen umzuziehen, denn die halbe Familie war dort auf dem Schloss des Freiherrn von Wrede schon untergekommen. Dr. jur. Wichard von Bredow starb aber am 30.05.1951, zwei Tage nach seinem 63. Geburtstag, in Haarstorf bei Ebstorf im Kreis Uelzen. So musste Alice von Bredow allein umziehen, aber ihr jüngster Sohn Hubertus (*1925 - † 1980) half ihr beim Umzug. Vom 16.07.1951 an wohnte sie dann in der Bahnhofstraße im Hause Hinzmann in Willebadessen. Im November 1951 zog auch ihr Vater, Otto Baron von Grotthuss, nach Willebadessen zu seinem Sohn Fred. Alice übernahm sofort die Betreuung des alten Vaters und umsorgte ihn bis zu seinem Tode am 19.02.1954. Otto Baron von Grotthuss genoss die täglichen Spaziergänge mit seiner Tochter Alice zum Schloss zu seiner Schwester Anna und war auch gern als Gast beim Freiherrn von Wrede gesehen. Alice von Bredow wohnte 24 Jahre in Willebadessen (1951 -1975). In dieser Zeit war sie immer für ihre Familie und liebe Freunde da. Sie führte den Haushalt ihrer Kinder, wenn die Mutter nach der Entbindung noch der Ruhe bedurfte oder wenn die Kinder krank waren. Auch in der Evangelischen Kirchengemeinde Peckelsheim/Willebadessen engagierte sie sich und war Mitglied im Presbyterium (Gemeindekirchenrat). Sie besuchte regelmäßig die Evangelischen Kirchentage und organisierte Busreisen für die Gemeinde nach Holland, Hessen, in die Lüneburger Heide und zur Ost- und Nordsee. Sie machte die Kirche sauber, läutete die Glocken und stellte frischen Blumen auf den Altar. Durch ihr unermüdliches Engagement gelang es ihr, so viele Spenden aufzutreiben, dass die Evangelische Trinitatis-Kirche in Willebadessen am 22.04.1955 eingeweiht werden konnte. 21 Jahre lang war sie auch Schriftführerin des Bundes der Vertriebenen (BdV) und spielte auch kleine Rollen bei Theaterstücken in der Kirche. Im Garten der Familie Hinzmann hatte sie riesige Erdbeerbeete angelegt und wenn die Erntezeit kam, verreiste sie nie, sondern produzierte wie in Spahren und Landin, ein Seihtuch um die vier Beine des umgekippten Stuhls gespannt, Säfte und Marmeladen. Am 09.10.1967 feierte sie mit ihren vier Söhnen und zwei Brüdern ihren 70. Geburtstag in Heeßel.
Von links: Roswitha (Dutti) Baronin von Grotthuss, Fred Baron von Grotthuss, Harald Baron von Grotthuss, Hans-Peter von Bredow, Alice von Bredow, Oda und Max-Wichard von Bredow, Annelie und Jürgen von Bredow, Carola und Hubertus von Bredow. Vorn sitzen ihre Enkelkinder von Oda und Max-Wichard von Bredow aus Heeßel von links: Daisy (*1961), Oda (*1965), Hasso-Elgar (*1958) und Wichard (*1959)
Im Schloss Willebadessen waren nach dem Tode ihres Vaters auch alle anderen Verwandten nach und nach gestorben. Die Söhne rieten ihr nun in ihre Nähe umzuziehen und so ging sie am 01.10.1975 in das Johanniter-Heim in Celle. Max-Wichard von Bredow lebte mit seiner Familie in Heeßel. Der jüngste Sohn Hubertus von Bredow half wieder beim Umzug. Er war Offizier der Bundeswehr, zuletzt in Hannover und starb 1980 an einer unheilbaren Erkrankung, betrauert von seiner Frau Carola von Bredow (*1940), seinen Söhnen Markus (*1960) und Axel (*1966) und von seiner Mutter. Alice von Bredow hatte sich auch in Celle sehr schnell eingelebt und fand Kontakt zu Freundeskreisen im Johanniter-Heim. Sie half auch, soweit es ihre Kräfte erlaubten, in der Kirche mit. Das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel verbrachte sie immer bei ihrem Sohn Max-Wichard von Bredow und ihrer Schwiegertochter Oda von Bredow in Heeßel. Eine große Auszeichnung bekam sie am 10.10.1976 von der Evangelischen Gemeinde Peckelsheim. Anlässlich des 150- jährigen Bestehens der Gemeinde überreichte ihr Pfarrer Ulrich Johannsen vom Diakonischen Werk in der Stadthalle von Peckelsheim in einem Festakt das „Goldene Kronenkreuz der Diakonie.“ Ihre Hände waren immer in Bewegung. Bewaffnet mit einer Gartenschere versuchte sie den Park im Johanniter-Heim in Celle zu bearbeiten. Sie sammelte auch Holz im Park und zersägte es in kleine Stücke mit einem Fuchsschwanz und verstaute es in Säcke. Dieses Kaminholz bekam ihr Sohn Max-Wichard in Heeßel. Wenn man sie bei dieser Arbeit beobachtete, kam es immer zu unschönen Diskussionen, denen sie aus dem Weg ging, indem sie die Holzaktion in die Mittagspause verlegte. Zum Höhepunkt ihrer letzten Lebensjahre gehörte eine Reise nach Landin vom 22.08. - 26.08.1983. In Begleitung ihrer Söhne Jürgen von Bredow und Max-Wichard von Bredow sowie dessen Frau Oda wohnten sie im „Hotel der Optik“ in Rathenow (heute Fürstenhof). Max-Wichard von Bredow war entsetzt über die schlechten Betten, die Kakerlaken im Waschbecken und den defekten Fernseher, in dem eine Abhöreinrichtung der Staatssicherheit (Stasi) vermutet wurde. Sie fanden die Gutshöfe der Bredows ziemlich heruntergekommen vor. In Landin war ja auch das Schloss abgebrannt worden. Aber als sie die Menschen in Landin und Kriele trafen, da ging ihnen das Herz auf. So viel Dankbarkeit und Herzlichkeit, mit der man sie empfing. Elli und Walter Müller, Gerhard Hünicke und viele Menschen, die sie in den Tagen in Landin trafen. Auch bei mir als Kreishygienearzt von Rathenow waren sie zu Gast. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam. Ich denke, es geschah auf Vermittlung meiner Erbtante Hertha Brunow aus Landin. Ich führte sie durch Rathenow und beim Kreishaus meinte Alice von Bredow, ihr Schwiegervater Max von Bredow (*14.08.1855 - † 26.01.1918) hat ihr oft erzählt und auch gezeigt, wie er mit seiner Frau als königlich preußischer Landrat im Westhavelland in Rathenow im Kreishaus gewohnt hatte. Da vorn im ersten Stock rechts war unser Schlafzimmer und hinten im Hof war der Pferdestall. Es gab damals für die Landräte eine Präsenspflicht im Landratsamt.
Landratsamt in Rathenow
Wir saßen dann noch lange abends zusammen in meiner kleinen Einraumwohnung in Rathenow-Ost in der Dr.-Salvador-Allende-Str. 40. Die meiste Zeit verbrachten sie aber in Landin und Kriele. Die von Efeu überwucherte Grabstelle der von Bredows brachten sie etwas in Ordnung. Und Alice vermahnte alle, stark zu sein und jeden Anschein von Verzweiflung, Trauer und Sentimentalität zu vermeiden. Sie sagte: „Wie müssen Vorbild sein, denn den Menschen hier ist es viel schlechter ergangen als uns.“ Und trotzdem war auch Alice von Bredow im Innersten tief bewegt. Nach 38 Jahren war sie das erste Mal wieder in ihrer Heimat. Das war es, was ihren letzten Lebenstagen noch einmal einen Glanz verlieh. Sie hatte immer davon geträumt, dass sie noch einmal nach Landin kommen könnte. Die Hoffnung und die Erwartung waren aber mit den Jahren abhandengekommen.
Neun Monate später am 26.05.1985 starb sie im Krankenhaus Celle.
Todesanzeige für Alice von Bredow
Alice von Bredow war der Mittelpunkt und die Nachrichtenstelle ihrer Familie und dabei immer bescheiden, wenn es um sie ging. So war sie erzogen worden. Fleißig, rührig, für andere da sein. Das war ihre Lebensmaxime. Ihre Tagebücher zeigen auch etwas von ihrer inneren Verfassung, aber das wollte sie lieber für sich behalten. Nach außen war sie immer stark und so muss man dieses Mädchen aus Spahren in Kurland, diese Gutsfrau in Landin, die Frau des Landrates im Kreis Pillkallen und dieses aktive Mitglied der Evangelischen Kirche in Willebadessen auch so nehmen, wie sie war – ein liebenswerter Mensch mit kurländischem Geist. Durch ihre Tagebuchaufzeichnungen wird sie indessen doch auch in den Rang einer Schriftstellerin und Historikerin gehoben. Denn das war sie auch.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.03.2021
Ich danken Otto Freiherr von Grotthuss für die Unterstützung und für die leihweise Überlassung des Buches von Max-Wichard von Bredow „Spahren – ein Gut in Kurland“, aus dem das meiste mit kleinen Veränderungen zitiert wurde.