50-Landin-Die Handtasche von Betty Ast am 01.04.2021
50. Die Handtasche der Betty Ast
Bettina Charlotte Ast, geborene Welak, wurde am 30.09.1909 in Berlin-Tempelhof geboren. Ihr Vater Emil Welak war am 15.06.1915 im Ersten Weltkrieg gefallen, sodass die Mutter Maria Welak ihre Tochter allein aufziehen musste. Betty, wie sie genannt wurde, besuchte die Volksschule von 1916 – 1924 in Berlin-Tempelhof. Von 1928 – 1930 absolvierte sie eine Lehre zur Haushaltsgehilfin in der Domäne Kieck bei Rathenow. Dort lernte sie Karl Hermann Ast kennen, der in Landin einen kleinen Bauernhof bewirtschaftete. Karl Ast war am 12.09.1898 in Bnin, Kreis Schrimm (Preußische Provinz Posen bis 1919) geboren und durch den Zweiten Weltkrieg nach Landin gekommen. Am 05.03.1932 heirateten die beiden in der Dorfkirche Landin. Pfarrer Sorge gab dem Brautpaar als Hochzeitsspruch einen Vers aus dem Psalm 127: „Wo der Herr nicht das Haus baut, da arbeiten umsonst, die daran bauen. Wo der Herr nicht die Stadt behütet, da wachen die Wächter umsonst.“
Wohnhaus der Familie Ast, Steinstr. 4, Landin
Von 1930 – 1958 bewirtschafteten Betty und Karl Ast den kleinen Bauernhof. Betty fütterte die Hühner, besorgte den Garten und half auf den Feldern mit. Sie weckte das Obst aus dem Garten ein und kochte gern. Es gab Hausmannskost aber immer eine Nachspeise, die aus Kompott oder Pudding bestand. Betty war schön und umgab sich gern mit einem schönen Ambiente. Und sie war bestimmend in vielen Dingen. Da ihre Ehe mit Karl kinderlos blieb, nahmen die Asts 1950 ihren zwanzigjährigen Neffen Rudolf Nelde aus Nauen zu sich. Karl Ast hatte sieben Geschwister. Seine Schwester Anna Nelde, geborenen Ast, war froh, dass ihr Sohn Rudolf nun gut versorgt war.
Karl und Betty stellen Roggenmandeln auf
Am 03.12.1958 übernahm Betty Ast die Poststelle in Landin. Ein Raum in ihrem Wohnhaus wurde zum Postbüro und daneben befand sich in einem zweiten Raum die Relaisstation für die Fernsprecher. Aber nur ganz wenige Menschen in Landin hatten einen Telefonanschluss. Wenn das Postauto kam, wurden in der Steinstr. 4 die Briefe, Karten und Pakete ausgeladen und Betty verteilte alles getreulich mit dem Fahrrad im ganzen Dorf. Sie nahm auch die Telegramme entgegen und fuhr zu jeder Tag- und Nachtzeit auch Telegramme aus. Sie trug während des Dienstes immer ihre Postuniform. Darauf legte sie wert.
Postangestellte Bettina Charlotte Ast
Ihr Neffe Rudolf Nelde brachte ihr eine junge Frau ins Haus und nach und nach vier Enkelkinder, um die sie sich liebevoll aber mit Autorität kümmerte. Die Enkel waren oft bei Oma und ließen sich verwöhnen. Oma machte „Arme Ritter“, kochte Grüne Bohnen, Kartoffelsuppe und immer einen Nachtisch. „Arme Ritter“ liebten die Enkel über alles. Dabei werden alte Brötchen halbiert und in eine Milch-Eier-Zucker-Soße eingelegt und anschließend mit Zucker und Zimt gebraten. Der Duft ist den Enkelkindern bis heute in der Nase geblieben. Nach dem Essen schlief der Opa auf dem alten Sofa ein und musste erst wieder neue Kräfte sammeln. Die Kinder hatten auch ihre Aufgaben zu erfüllen. Darauf achtete Oma Betty.
Die Enkel Lutz Nelde, Heidemarie und Petra Nelde
Als die Frau ihres Neffen, Brigitte Nelde, Bürgermeisterin von Landin wurde, hatte sie die Enkelkinder noch öfter bei sich. Betty und Karl hatten kein Bad in ihrem Haus und nur ein Plumpsklo auf dem Hof. Als in Landin ein Neubau errichtet wurde, war es für Betty und Karl klar: „Wir ziehen dort ein.“
Hier gab es neben den zwei Zimmern nun endlich ein modernes Bad. Sie fühlten sich wie im Paradies und der Konsum war gleich im Haus.
Der Neubau in Landin mit Konsum
Betty Ast liebte alle Tiere und hatte fast ihr ganzes Leben lang einen Spitz. Sie reiste auch gern und verschickte dann Ansichtskarten. Auch wenn es nur nach Potsdam Sanssouci ging, war sie glücklich. Sie war der Ansicht: Reisen verlängert das Leben! Wenn sie eine Woche in Urlaub war, kam ihr die Zeit wie ein halbes Jahr vor. Die Landiner Nachbarn, die in ihrem Alltagstrott weiterlebten, hatten oft gar nicht bemerkt, dass sie fort war.
Speisesaal Schloss Sanssouci
Zu Weihnachten gab es in der Familie Ast Kaninchenbraten. Die Kaninchen wuchsen hinter dem Haus in Buchten heran und wurden von den Enkelkindern mit Gras versorgt. Betty schmückte den Weihnachtsbaum immer selbst. Sie hatte einen Sinn für das Schöne und ihr Baum war jedes Jahr eine wahre Pracht.
Weihnachtsbaum in der „guten“ Stube
Zur Silberhochzeit am 05.3.1957 feierte sie mit Verwandten und Freunden ein kleines Fest.
Silberhochzeit von Betty und Karl Ast
Betty Ast hatte eine Handtasche, die sie immer mitnahm, wenn sie auf Reisen ging und zu Hause durfte niemand an ihre Handtasche gehen. Da konnte sie richtig böse werden. Sie tat alle Zeit immer geheimnisvoll und wichtig mit ihrer Handtasche. Und das hatte auch seinen Grund. In der Handtasche befanden sich alle notwendigen Papiere, die ein Mensch in Deutschland braucht.
Personalausweis 1933
Stammbuch mit Heiratsurkunde
Arbeitsbuch von Bettina Ast
Bescheinigung vom Königlich-Preußischen Kriegsministerium
über den Tod des Vaters am 15.06.1915
Betty war immer eine Frau, die gern alles plante und sich nicht gern überraschen ließ. So hatte sie in der Handtasche auch den Text für die Annonce im Todesfall ihres Mannes auf einem Zettel parat. Aber sie war nicht die einzige Frau im Dorf, die ihre Papiere immer bei sich hatte. Viele standen in der Nacht, wenn ein Gewitter über Landin stand, auf und holten eine Kassette mit den wichtigsten Papieren hervor und warteten auf das Ende des Unwetters. Betty hatte alles, was ihr wichtig war, in dieser Handtasche aufbewahrt. Im 19.04.1980 starb sie an Krebs in Landin. Bis zum Tode wurde sie von Brigitte Nelde liebevoll umsorgt.
Grabstein von Betty und Karl Ast
Am 24.04.1980 wurde sie auf dem Friedhof in Landin zur letzten Ruhe geleitet. Ihr Ehemann Karl, der Pfarrer Friedhelm Kalkowsky und die Angehörigen waren traurig, denn sie wurden von allen Menschen geliebt. Die Enkelkinder fanden, dass diese Handtasche ein Schatz für ihre Familienchronik war und nun verstanden sie auch, warum die Oma Betty immer so besonders mit dieser Handtasche umgegangen war.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.04.2021