53-Landin-In Landin gibt es kein Salz 01.07.2021
53. In Landin gibt es kein Salz
Dorfkonsum in Landin im Neubau
Neben der Gaststätte Ferdinand Muchow, hatte die Enkelin, des Gastwirts, Hertha Brunow, einen Kolonialwarenhandel im Hause eingerichtet und verkaufte an die Landiner Zucker, Salz, Marmelade aus großen Pappeimern, Butter von großen viereckigen Blocks, Seife, Waschpulver und Himbeerbonbons.
Schon während des Zweiten Weltkrieges (1939 -1945) gab es Lebensmittelmarken für Zucker, Butter und Brot. Dieses System wurde auch noch dem Krieg fortgeführt. Es war eine Verwaltung des Mangels. Manche Kinder kauften für die Zuckermarken heimlich Himbeerbonbons, ohne dass es die Eltern merkten. Die Kommunistische Führung in der DDR hatte es sich vorgenommen, die wenigen verbliebenen Privatläden in Staatseigentum zu überführen. In den Städten gab es die HO`s, die einer Staatskette namens Handelsorganisation (HO) angehörten und Industriewarengeschäfte, Lebensmittelgeschäfte und Gaststätten betrieb. Auf den Dörfern wurden die privaten Geschäfte in eine Genossenschaft überführt, die „Konsum“ genannt wurde. Diese Konsumgenossenschaft hatte in den Städten auch Warenhäuser, Großbäckereien und Gaststätten. In den Dörfern gab es meist nur den Dorfkonsum. Die Mitglieder der Konsumgenossenschaft wurden zu einem geringen Anteil an den Umsätzen beteiligt. Es gab Rabattmarken für den Einkauf, die man in Hefte klebte und am Jahresende der Konsumgenossenschaft übergab und etwas Geld dafür bekam. Hertha Brunow musste ihr Geschäft aufgeben und dafür wurde Irmgard Zimmermann von der Konsumgenossenschaft in Landin angestellt. Sie wohnte mit ihrem Mann, der Abschnittsbevollmächtigter (ABV) war, wie man den Dorfpolizisten im Osten nannte, in der Bergstraße 4 in Landin. Der Dorfkonsum in Landin war ein Treffpunkt für alle Menschen im Ort. Hier wurden alle Neuigkeiten ausgetauscht. Wer geheiratete hatte, wer gestorben war, wer krank oder im Krankenhaus war. Alles berichteten die Kunden und die Konsumverkäuferinnen wussten alles immer zuerst, was das Dorf und seine Bewohner betraf. Der erste Konsum war in der Steinstraße 12.
Landin, Steinstraße 12
Aber bald zog Irmgard Zimmermann in das kleine Schloss, das im Krieg unzerstört geblieben war, um. Sie war eine genaue Verkäuferin und hatte nie einen Überschuss, aber auch nie ein Manko. Wie sie das machte, blieb allen ein Rätsel. Eigentlich mussten sich alle anstellen und warten bis sie an der Reihe waren, aber es gab immer welche, die sich vordrängelten. Wenn ihre Freundin Ulrike kam, ging sie immer sofort an den Verkaufstisch und sagte: “Irmchen, wir sind gerade beim Kaffeetrinken. Kannst Du mir mal schnell ein Glas Erdbeermarmelade geben und eine Tüte Zucker, und ich brauchte auch noch ein Stück Butter und ein Pfund Mehl, ach und Streichhölzer. Die hätte ich beinahe vergessen und dann noch ein Glas Mostrich. So was macht das?“ Irmgard Zimmermann lächelte amüsiert und bediente sie zwischendurch. Die Kunden in der Reihe kannten das alles und warteten geduldig. Ulrike war eben ein Original, man konnte ihr nicht böse sein.
Kleines Haus des Schlosskomplexes in Landin
1969 wurde das kleine Haus des Schlosskomplexes abgerissen und auf den Fundamenten ein Neubau errichtet. Irmgard Zimmermann zog vorübergehend in ein Haus in der Steinstraße um.
Der Konsum in der Steinstr. 17
Als der Neubau fertig war, zog der Konsum dort ein. Ingelore Babucke wurde ihre Nachfolgerin und führte den Konsum viele Jahre. Sie bot in dem kleinen Laden an, was man so an täglichen Dingen brauchte. Brot, Brötchen, Butter, Margarine, Öl, Eier, Zucker, Mehl, Milch, Salz, Gewürze, Scheuertücher, Toilettenpapier und Waschpulver. Auch gab es eine kleine Tiefkühltruhe mit Fisch, Hähnchen und anderen Fleischwaren. Die Menschen auf dem Dorf waren nicht so mobil wie heute. Von Aal bis Zimt musste alles vorrätig sein. Kurz vor Weihnachten kam dann Apfelsinen, die Ingelore Babucke immer gerecht auf die Familien aufteilte, sodass jeder etwas abbekam, denn Südfrüchte waren Mangelware. Ebenso machte sie es mit den Bananen. Anderes Obst oder Gemüse bot sie nur in kleinen Mengen an, da die meisten Landiner einen eigenen Garten hatten und Gemüse, Äpfel, Birnen und Pflaumen selbst ernteten und auch einweckten. Die Menschen kauften auch das 48 Pfennig teure Schrotbrot, das sie an die Schweine verfütterten. Es war einfach spottbillig und viel billiger als wenn sie anderes Viehfutter kaufen würden. Die Grundnahrungsmittel wurden hoch subventioniert und entsprachen in keiner Weise den Realkosten. Dafür waren technische Artikel völlig überteuert. Die Regierung wollte damit das Geld abschöpfen.
Pfannkuchen aus der Konsumbäckerei
Zweimal die Woche gab es frisches Brot und einmal die Woche Fleisch und Wurstwaren. An einem Tag im Monat bot Ingelore Babucke auch Kaffeegeschirr und andere Industriewaren an.
Ingelore Babucke
Wenn im Januar und Februar die Bauern ein Schwein schlachteten, kauften sie auch das Salz im Konsum. Es wurde Pluntwurst gekocht, Schlackwurst und Leberwurst gemacht und das Fleisch eingesalzen oder als Schinken mit der Schlackwurst in die Räucherkammer gebracht. Einmal ging der Familie Mewes beim Schlachten das Salz aus und der Sohn Bernd wurde in den Konsum geschickt, um Salz zu kaufen. Ingelore Babucke hatte wirklich viel Salz eingelagert, wenn alle Bauern im Winter schlachteten. Aber auch ihr waren die Vorräte ausgegangen und so riet sie dem Bernd, er solle seine Schwester in Rathenow anrufen, die ja abends mit dem Bus nach Hause kommen würde. Sie könne das Salz aus Rathenow ja mitbringen, dann wäre es noch rechtzeitig für die Wurst und das Fleisch in Landin. Es gab kaum Telefone und Bernd hatte noch nie telefoniert. Ingelore wählte ihm die Nummer und verlangte die Schwester, die im „Hotel der Optik“ arbeitete, und ging wieder zurück in den Verkaufsraum. Bernd hörte die Stimme seine Schwester und sagte: „In Landin gibt es kein Salz.“ „Wer ist denn da?“ fragte seine Schwester. Aber er antwortete immer mit denselben Satz: „In Landin gibt es kein Salz, in Landin gibt es kein Salz.“ „Bist Du es, Bernd?“ rief die Schwester, aber sie hörte nur wieder:“ In Landin gibt es kein Salz.“ Da lege sie auf und dachte sich ihren Teil, kaufte reichlich Salz ein und brachte es mit nach Hause, gerade noch rechtzeitig um die Würzmischungen für die Würste zu bereiten. Die ganze Familie schmunzelte noch lange über diese Geschichte. Ingelore Babucke führte den Konsum auch noch nach der Einheit Deutschlands im Jahre 1990 weiter, aber die neu errichteten Supermärkte lockten auch die Dorfbewohner in die Städte und so arbeitete sie noch einige Zeit in Kriele im Konsum und später noch in Stellen vom Arbeitsamt (ABM), aber die Zeit der Dorfläden war vorbei.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.07.2021