55-Landin- Der Dorfpolizist von Landin-01.09.2021
55. Der Dorfpolizist von Landin
1949 richtete die DDR nach sowjetischem Vorbild eine Volkspolizei ein und warb junge Männer für den Dienst für die polizeilichen Aufgaben in den Städten und Gemeinden. Jeder Polizist bekam einen Bereich zugeteilt und nannte sich Abschnittsbevollmächtigter (ABV). Die Ausbildung war in den ersten Jahren sehr lückenhaft, verbesserte sich aber nach und nach. Die Volkspolizisten waren fast alle in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Meist bekleidete der ABV den Rang eines Unterleutnants oder eines Leutnants. Sie hießen im Volksmund wegen ihrer grünen Uniformen einfach „Die Grünen.“ In Landin war Georg Zimmermann zuständig für Diebstahl, Raub und Streitigkeiten der Nachbarn. Er wohnte mit seiner Frau Irmgard, in der Bergstraße 4.
Wohnhaus von Irmgard und Georg Zimmermann
Bergstr. 4
Er kontrollierte auch die Fahrradfahrer, wenn sie im Herbst ohne Licht von der Arbeit in Rhinsmühlen oder Rathenow kamen. Jeder wusste, dass er bei Dunkelheit den Dynamo einschalten musste und sein Fahrrad mit Licht zu fahren war. Aber der Dynamo erschwerte natürlich das Fahren, denn er erzeugte sein Licht über ein kleines Rad, das auf das Profil des Fahrradschlauches lief und eigentlich ein Hindernis war. Deshalb fuhren die meisten Leute ohne Licht. Wenn er dann einen Heimkehrer anhielt und ihn zur Rede stellte, amysierte er sich über die Ausreden. Es gab die Zerknirschten, die reuemütig und schuldbewusst meinten, sie hätten es nur vergessen und würden sonst immer mit Lichtfahren. Und es gab die Erbosten, die ihn beschimpften, ob er nichts anderes zu tun hätte, als fleißige Arbeiter zu schikanieren. Er beließ es meist bei einer Verwarnung und stellte selten einen Bußgeldbescheid aus. Aber auch das gehörte zu seinen Aufgaben und die Menschen hatten dann doch ein bisschen Angst und Respekt vor ihm.
Schild am Haus Bergstr. 4
Er kontrollierte die Hausbücher. Er ging auf Streife und war Ansprechpartner für die Menschen im Dorf. Er wurde befragt, wenn Menschen in den Westen reisen wollten. Der Westen hieß damals „nichtsozialistisches Ausland.“ Die spannendste Frage für die Staatssicherheit (Stasi) war, ob die Leute im Westen bleiben würden? Das war nach DDR-Recht eine Straftat und hieß Republikflucht. Die Einschätzung des ABV war für die Behörden entscheidend, denn er kannte die Menschen sehr viel besser, als die Stasimitarbeiter selbst. Als es Westfernsehen gab, war das für jeden Parteigenossen tabu. So etwas schaute man nicht. Wenn die Leute sagten, es gäbe so schöne Filme im Westfernsehen, antwortete er: „Man trinkt auch keinen guten Wein aus einem schmutzigen Glas.“ Aber seinen Eltern erzählte er doch nach etlichen Gläsern Schnaps. Wir ziehen abends die Vorhänge zu und kucken auch mal Westfernsehen. Die Verlockungen des Westens gingen doch nicht an den einfachen SED-Mitgliedern spurlos vorüber.
Emblem der Volkspolizei der DDR
Der ABV war ein vielbeschäftigter Mensch, denn er musste für den Staat seine Dienste absolvieren, war aber auch zuständig für jede kleine Rauferei im Ort. Besonders nervten ihn Nachbarschaftsstreitigkeiten. Zwischen Arnold Mewes und Hedwig Muchow gab es immer Zank. Die Mewesschen Hühner machten es sich gern im Garten der Nachbarn bequem und ließen sich den Salat und den Grünkohl gut schmecken. Hedwig Muchow holte dann sofort den ABV, um den Schaden begutachten zu lassen. Die Hühner waren schon längst wieder fort, als Georg Zimmermann in den Garten kam. Er meinte, das sehe doch eher wie Schneckenfraß aus, was die Hedwig Muchow noch mehr aufbrachte. „Das lasse ich mir nicht gefallen, „sagte sie, „ich werde zum Bürgermeister gehen.“ „Gerne,“ sagte Georg Zimmermann, „dann schreibe ich in mein Protokoll - Übernahme durch den Bürgermeister.“ Hedwig Muchow winkte nur wütend ab: „Machen Sie doch, was Sie wollen!“ Meist ging solcher Streit wie das Hornberger Schießen aus. Georg Zimmermann war in Landin beliebt, denn er schoss nie über das Ziel hinaus und war auch kein scharfer SED-Hund, der Menschen ans Messer lieferte. Eine Schwäche hatte er aber doch. Er aß gern süß-sauer eingeweckten Kürbis. Er hatte schon lange ein Auge auf die Kürbisse im Garten von Lisa Gretzinger geworfen. Der Garten war fast schräg gegenüber von seinem Wohnhaus.
Haus von Lisa und August Gretzinger
Steinstr. 8
Und in einer regnerischen Sturmnacht konnte er nicht widerstehen und holte sich zwei Kürbisse aus dem Garten von Lisa Gretzinger und brachte sie in seinen Schuppen. Am nächsten Tag war das das Gesprächsthema Nummer Eins im Konsum. Lisa Gretzinger kam ganz aufgeregt in den Konsum und fragte Irmgard Zimmermann: “Habt Ihr denn nichts gehört in der Nacht? Mir haben sie nämlich zwei Kürbisse geklaut. Die waren durch den Stallmist ganz schön geworden und August und ich haben sie jeden Tag mit Freude angeschaut.“
Kürbisse
Irmgard Zimmermann konnte sich gar nicht genug darüber verwundern, wer denn so etwas machte und wusste doch, dass die zwei Kürbisse in ihrem Schuppen lagerten. Sie weckte ihrem Mann dann auch die Kürbisse so ein, wie er es mochte, mit Zucker, Essig und Zimt. Das leckere Kürbiskompott reichte für ein ganzes Jahr. Im Landin blieb es aber ein Geheimnis, denn so etwas traute man dem ABV nun wirklich nicht zu.
© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.09.2021