63-Landin - Die Pusteblume 01.05.2022
63. Die Pusteblume
Carmen von Waldow und Wilhelm Brunow
Paul Brunow und Elisabeth Brunow aus Landin hatten zwei Söhne, Arnold und Ernst Wilhelm. Arnold war Kutscher geworden, denn er hatte ein Händchen für Pferde. Er ging als junger Mann nach Berlin und führte die Pferde der Pferdebahn. Als die Pferde nach und nach durch Elektrostraßenbahnen ersetzt wurden, war es ihm ein Leichtes als Straßenbahnfahrer zu arbeiten. Auch die Straßenbahnen wollten einfühlsam durch den Großstadtverkehr gesteuert werden. Wilhelm hatte sich dem Militär verschrieben und schlug eine Offizierslaufbahn bei der Kaiserlichen Armee ein.
Paul und Elisabeth Brunow
Auf einem Offiziersball in Bromberg lernte er Carmen von Waldow kennen. Beiden war sofort klar, dass sie die Liebe fürs Leben gefunden hatten. Carmen Betty Luise Emilie von Waldow war am 23.08.1890 in Jagenow, Bezirk Bellgard in Hinterpommern, geboren worden. Ihre Eltern Hermann Ernst Emil von Waldow (*13.10.1858 in Steinberg - † 02.08.1945 in Deutsch Krone) und Betty Maria Ferdinande von Waldow, geborene Lange, bewirtschfteten viele Gutshöfe unter anderem auch in Szczepankow. Der Stammsitz war aber in Deutsch Krone in der preußischen Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen. Carmen von Waldow war weit und breit die schönste Frau und Wilhelm Brunow war ein schneidiger Offizier, der die Augen aller jungen Mädchen auf sich zog, wo immer er erschien. So wurde nach einer kurzen Verlobungszeit der Hochzeitstermin für Carmen von Waldow und Wilhelm Brunow für Freitag den 07.08.1908 im Herrenhaus Szczepankow, Kreis Sampter, in der preußischen Provinz Posen festgelegt.
Hochzeit im Herrenhaus Szczepankow 1908
Carmen hatte noch zwei jüngere Brüder Claus Ferdinand Paul Hermann und Ulrich von Waldow. Die Flitterwochen verlebten sie beide auf dem Gut und machten täglich Ausritte in die waldreiche Umgebung. Sie waren verliebt und sahen die Zukunft rosig.
Carmen von Waldow
Carmen war glücklich. Ihr Schwager, Arnold Brunow und seine Frau Anna besuchten die Familie von Waldow oft in Szczepankow und es waren überaus harmonische Tage, die alle dort verlebten. Hertha Brunow und ihre Mutter Anna Brunow schwärmten ihr ganz Leben lang von dem Glanz, den der Besuch im Gutshaus der von Waldows auf sie gemacht hatte.Tante Carmen hatte einen bleibenden Eindruck auf ihre Nichte Hertha Brunow gemacht.
Ausritt durch die Wälder
Wilhelm versah seinen Dienst in der Kaserne und es gab genug Arbeit im Gutsbetrieb der von Waldows, sodass kaum Freiraum für andere Aufgaben bestand. Es waren die schönsten Jahre im Leben des jungen Paares.
Ende 1914 musste Wilhelm Brunow als Offizier nach Kamerun gehen. Er bat seine Frau mit ihm zu kommen, aber Carmen sagte: „Ich bin dafür nicht geeignet.“ Carmen versuchte ihren Mann noch umzustimmen und versprach ihre Kontakte im Kaiserlichen Kriegsministerium zu nutzen, um eine Entsendung nach Kamerun zu verhindern. Aber ihr Mann war mit Leib und Seele Offizier. Er wollte sich darauf nicht einlassen. Seine Frau schrieb ihm nach Kamerun lange Briefe und bat ihn immer wieder zurückzukommen, aber Wilhelm blieb in Kamerun. Carmen hielt guten Kontakt zu ihrem Schwager Arnold und seiner Frau Anna in Berlin und zu den Schwiegereltern in Landin.
Carmen und Wilhelm auf einem Ausflug
Sie wollte nicht immer nur auf ihren Mann warten müssen. Als sie sich in einen andere Mann verliebte, reichte sie die Scheidung ein. Wilhelm Brunow hatte die Scheidung nach langem Hin und Her akzeptiert und heiratete ein paar Jahren später eine junge Frau aus Berlin, Margarethe Brunow, die er schon lange kannte, denn es war die Freundin seiner Nichte Hertha Brunow. 1916 kehrte er gesund aus Kamerun für immer zurück. Margarethe war verzaubert von ihrem Mann und sie fand später, das es die besten Jahre ihres Lebens waren. Margarethe und Wilhelm Brunow blieben in Berlin. Wilhelm arbeitete im Kriegsministerium, obwohl er immer Sehnsucht nach Afrika hatte. Als 1939 der Zweite Weltkrieg begann, war Wilhelm Brunow zunächst auf allen Kriegsschauplätzen in Europa, ging aber 1941 mit dem Großverband der deutschen Wehrmacht nach Ägypten. Dort verliert sich seine Spur. Margarethe Brunow hörte nie wieder von ihm. Er galt als verschollen.
Claus von Waldow 1917
Carmen von Waldow trauerte der Liebe ihres Lebens nicht lange nach. Sie war eine lebenlustige Frau, die immer Modellschuhe der Größe 34 des Schuhhauses „Leiser“ mit sehr hohen Absätzen trug. Sie heiratete Günther Wendt, der einen Bauernhof in Klosterdorf bei Strausberg in der Nähe von Berlin hatte und ein leidenschaftlicher Nazi und Hitlerverehrer war. Er fiel im Zweiten Weltkrieg. Carmen Wendt war ebenso fanatisch dem Naziregime zugetan und verkehrte in hohen Kreisen des Militärs. Sie brillierte bei vielen Festen als vollendete Gastgeberin und war in jeder Gesellschaft der Mittelpunkt mit ihrer Eleganz und ihrem Charme. Die von Waldows hatte sich von ihr entfernt, weil man das Nazi-Regime nicht mochte. Nach 1945 lebte sie allein in Berlin. Die Kontakte, die durch den Fanatismus für die Nazis zur Familie von Waldow erkaltet waren, belebte sie wieder. Carmen Wendt hatte aber eine bequeme Art gefunden, durch das Leben zu kommen. Sie reiste von einem Gut zum anderen, wo sie die Verwandten bat, die Kosten der Fahrkarte für die Weiterreise zu den nächsten Verwandten zu übernehmen. Sie hatte ein angenehmens Wesen und alle erinnerten sich gern an Tante Mau, wie sie die Familie nannte. Ansonsten hatte sie nur Umgang mit Generälen und Militärs in gehobenen Grad und bekam sogar 1954 beim ersten Staatsbesuch eines ausländischen Oberhauptes in der Bundesrepublik Deutschland von Kaiser Haile Selassie eine Einladung nach Adis Abeba und wohnte mehrere Wochen im Kaiserpalst in Äthopien.
Äthopischer Kaiser Haile Selassie
(*23.07.1892 – † 27.08.1975)
Sie hatte in jungen Jahren einen Reitunfall gehabt und wurde mehrere Meter weit von ihrem Pferd auf dem Boden entlang geschleift, wobei die gesamte Kopfhaut verletzt wurde. Nach dem Reitunfall hatte sie nur noch sehr spährlichen Haarwuchs auf ihrem Kopf, sodass sie die Familie die „Pusteblume“ nannte. Sie hat nie gearbeitet, wie es damals auch üblich war. Ihr Bruder, Claus Ferdinand Paul Hermann von Waldow, war schon 1917 einer der ersten Piloten im Deutschen Reich und besuchte sie auch manchmal. Der älteste Sohn von Claus von Waldow, Hermann von Waldow hatte Ingrid Wolff geheiratet und lebte mit seiner Frau auf Fehmarn. Die Eltern der Ingrid Wolff waren vermögend und hatten einen kleinen Zeitungsverlag auf Fehmarn. Der Vater von Ingrid, Hans Wolff, war nach dem Zweiten Weltkrieg der Verleger des „Fehmarnschen Tagesblattes.“ Dort bei ihrem Neffen Hermann von Waldow fand sie Unterschlupf auf Burg und wohnte in einem kleinen Zimmer. Auf Fehmarn fühlte sie sich wohl. Dort empfing sie auch ihre Nichte Hertha Brunow aus Landin, denn die Bande nach Landin waren ja nie abgerissen. Sie korrespondierte mit ihren zahlreichen Verwandten und Freunden und empfing Besucher, solange es ihr gesundheitlich möglich war.
Carmen Wendt 1959 auf Fehmarn
von links: Nichte Gudrun, Cousine Frieda Apitsch, geborenen von Waldow, Carmen Wendt, Irmgard von Waldow
Sie wollte aber nicht immer allein sein und ging in eine Seniorenresidenz auf Fehmarn. Dort klagte sie sehr darüber, dass sie nur von alten Menschen umgeben war. Nach einem Sturz, bei dem sie sich einen Oberschenkelhalsbruch zuzog, wurde sie bettlägerig und starb am 16.03.1987 mit über 96 Jahren an einer Lungenentzündung. Sie war alt, aber noch nicht lebensmüde. Ihr Lebensmotto war: „Denk an die guten Jahre deines Lebens“. Und dieses Motto trug sich durch alle Widrigkeiten bis zu ihrem Tode. Sie war eine Lebenskünstlerin.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.05.2022
Ich danke Dietlinde von Waldow für ihre Unterstützung.