66-Landin-Josepha muss heiraten 01.08.2022
66-Josepha muss heiraten
Josepha Durchdenwald mit ihren Adoptivkindern
Josepha Durchdenwald und ihr Mann Franz lebten in einem Haus in Landin. Franz Durchdenwald betrieb eine kleine Landwirtschaft mit Kühen, Schafen, Schweinen und Hühnern und Josepha arbeitete gern in ihrem großen Garten hinter dem Haus, wo sie ganz viele Obstbäume gepflanzt hatte. Sie verkaufte Äpfel, Birnen und Pflaumen an die Rathenower und baute ihren festen Kundenkreis immer weiter aus. 1945 wurde ihnen ein Ehepaar mit zwei Kindern einquartiert, das die Russen aus ihrer schönen Villa in Rathenow rausgeschmissen hatten. Der Vater, Otto Köhne, verkaufte von 1927 – 1936 für eine Rathenower Firma Brillen und andere optische Geräte in Peking und die beiden Kinder Peter und Luise waren auch in Peking zur Welt gekommen. Der optische Betrieb in Rathenow ging aber pleite und so kehrte Otto Köhne mit seiner Frau Ottilie nach Rathenow zurück und arbeitete für eine andere optische Firma.
Die Kinder Peter und Luise wurden in Rathenow 1939 eingeschult, sprachen aber fließend chinesisch, weil sie in Peking eine chinesische Kinderfrau hatten. Als sie in Landin bei Franz Durchdenwald untergekommen waren, lebten sie doch in recht ärmlichen Verhältnissen. Otto Köhne, seine Frau Ottilie und die beide Kinder erkrankten 1949 an Typhus. Trotz aller ärztlicher Kunst starben die Eltern und Josepha adoptierte kurzerhand beide Kinder, weil Franz und Josepha Durchdenwald keine eigenen Kinder bekommen konnten. Peter war sehr geschickt und hoch intelligent und half dem Vater in der Landwirtschaft, während Luise mit Josepha das Haus und die Obststreuwiese in Ordnung hielten. Peter machte an der Erweiterten Oberschule in Rathenow sein Abitur und studierte nach der Schule Jura an der Humboldt-Universität in Berlin. Peter Durchdenwald wurde später Richter am Bezirksgericht in Potsdam. Er hatte in Potsdam eine wunderschöne Frau gefunden und Potsdam war nun der Mittelpunkt seines Lebens geworden. Nach Landin kam er eher selten. Seine Mutter Josepha und ihr Mann Franz führten die kleine Wirtschaft solange es ihre Kräfte erlaubten. Als sie im Rentenalter waren, wurde der Hof von der LPG (Landwirtschftlichen Produktionsgenossenschaft) bearbeitet. Nur die Obststreuwiese hinter dem Haus behielt Josepha, solange sie konnte, unter ihrer Obhut. Sie reisten mehrmals im Jahr in den Westen, denn Josepha hatte sieben jüngere Geschwister, die in Baden-Württemberg lebten. Das umständliche Antragsverfahren bei der Polizei in Rathenow störte sie nicht. Sie war an bürokratische Hürden gewohnt und so gab es neben den adoptierten Kindern viele schöne Erlebnisse in ihrem Leben. 1970 bekam Franz Durchdenwald einen Herzinfarkt und starb. Josepha und die Kinder betrauerten ihn lange, aber nach ein paar Jahren sagte Josepha sich: “ Ich will nicht den Rest meines Lebens allein sein. Ich gebe eine Kontaktanzeige auf. Vielleicht finde ich noch einen Menschen, der mit mir zusammenleben möchte.“ In der „Wochenpost“ gab sie also eine entsprechende Annonce auf und siehe da, es meldeten sich zehn Männer in passendem Alter. Josepha war eine gewissenhafte Frau und lud jeden Sonntag einen Mann zu sich zum Essen ein. Das reichte ihr, um einen Menschen in Augenschein zu nehmen. Nach dem Kennenlernessen kamen für sie zwei Männer in die engere Wahl, ein Professor aus Leipzig und ein Bauer aus der Altmark. Aber sie wusste nicht recht, was sie machen sollte und ging zu ihrer besten Freundin im Dorf Annemarie Mewes. „Annemarie,“ sagte sie zu ihr, „auf was würdest du mehr Wert legen Titel oder Herz?“
„Aber Josepha, was ist das für eine Frage, natürlich ist der Charakter eines Menschen wichtiger als der Titel.“
Josepha war zufrieden und ging fröhlich nach Hause und schrieb nun an den Bauern, wenn es ihm recht wäre, könnte er ja zur Probe bei ihr einziehen. Es war ihm recht und so wohnte Josepha mit Johann Gottfried Walther in Landin, Er hatte keine Verwandtschaft im Westen und reiste mit Josepha nun gern zu ihren Geschwistern. Die Verwandten in Baden-Württemberg waren schon sehr gespannt auf den neuen Partner von Josepha. Der Johann Walther war wirklich ein angenehmer Mensch. Er war natürlich nicht so für hohe Ansprüche gerüstet. Beim Mittagessen putzte er das Gemüse und schälte die Kartoffeln und Josepha machte das Fleisch und die Soßen und die feineren Sachen, aber sie verstanden sich prächtig. Nachdem die Westverwandtschaft ihn ausreichend beschaut und beschnuppert hatte, fanden ihn alle sehr nett und er wurde als Mitglied der Familie voll akzeptiert. Die Reisen nach Westdeutschland waren für Josepha und Johann immer auch Höhepunkte ihres Lebens, denn ihre Schwester hatte ihr auch eine Reise nach Mallorca geschenkt und so machten sie alle gemeinsam Urlaub am Mittelmeer und kamen ganz begeistert nach Landin zurück. Aber bei einer der nächsten Reise bekam sie von der Polizei in Rathenow in der Rosa-Luxemburg-Straße eine Reiseerlaubnis für sich, aber nicht für ihren Partner. Sie war eine energische Frau und wollte sich das nicht gefallen lassen. Sie verlangte, den Chef der Behörde zu sprechen und fragte ihn, warum man die Reise für Herrn Walther abgelehnt hätte? Der Major Heinz Rehag sagte ihr ganz ruhig und höflich. „Liebe Frau Durchdenwald, die Reiseregelung der DDR gelten ja nur für Verwandte. Wir haben jetzt gesehen, dass Herr Walther mit ihren Geschwistern im Westen gar nicht verwandt ist. Also darf er auch nicht ausreisen.“ „Das ist doch Quatsch, wir leben ja zusammen." „Ja, aber Sie sind doch nicht verheiratet oder?“ „Natürlich nicht,“ sagte Josepha und verließ wütend das Büro. Sie rief ihren Sohn Peter in Potsdam an und sagte zu ihm: “ Stell dir mal vor, die Polizei lässt Johann nicht in den Westen, weil er nicht mit meinen Geschwistern verwandt ist. Ist das nicht unerhört? Was soll ich bloß machen? „Ja,“ sagte Peter, „das ist juristisch richtig, er ist ja mit deinen Geschwistern wirklich nicht verwandt. Aber du kannst ihn ja heiraten, dann ist er auch mit deinen Geschwistern wieder verwandt.“ „Meinst du wirklich, in unserem Alter?“
„Was spielt das Alter für eine Rolle, heirate ihn und dann könnt ihr wieder zusammen vereisen.“ „Na, gut, wenn du das so siehst, gehe ich mit ihm zum Standesamt.“ Josepha Durchdenwald und Johann Walther erschienen beim Standesamt und Josepha sagte dem Standesbeamten: “Ich muss heiraten so schnell wie möglich.“ „Sie……, in Ihrem Alter,“ staunte der Standesbeamte und schaute sie verwundert an. „Ja, so etwas kommt auch bei alten Leuten vor,“ sagte Josepha und ließ sich auf keine weiteren Fragen ein. „Wenn es so eilig ist, hätte ich für morgen um 14:00 Uhr noch einen Termin frei, wenn sie können?“ „ Ja, wir können,“ sagte Josepha Durchdenwald und so wurde sie am nächsten Tag mit Herrn Johann Gottfried Walther getraut und konnte nun mit ihm in den Westen fahren, so viel sie wollte. Am Ende fanden sie die Geschichte auch spaßig und erzählten sie überall herum.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.08.2022