Die Geschichte der Schuke-Orgel in der Lutherkirche 30.09.2022
Matthias Schuke
Das 50-jährige Bestehen der Orgel in der Lutherkirche Rathenow
Festvortrag von Matthias Schuke
in der Lutherkirche in Rathenow am 30.09.2022
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich heute zu diesem Anlass des 50-jährigen Bestehens dieser Orgel hier bei Ihnen sein zu können und bedanke mich für Ihre Einladung. Eigentlich sollte heute mein Sohn Michael hier sein, doch er bekam Corona und versucht gerade den ungebetenen Gast wieder loszuwerden. Ihre Gemeinde bat uns einen kleinen Vortrag über den Werdegang des Orgelbaus in der Lutherkirche vor 50 Jahren zu halten, was ich gern angenommen habe. Ein solches Jubiläum ist immer ein schöner Anlass einen Rückblick zu halten, der bis auf die Anfänge zurückgeht. Am 26.11.1972 wurde das Instrument in einer Orgelvesper in den Dienst der Gemeinde gestellt. Ihr damaliger Kirchenmusiker Gerhard Kauffeld stellte das Instrument mit Werken von Jan Pieterszoon Sweeling, Max Reger, Zoltan Kodaly, Johannes Weyrauch und Louis Vierne der Gemeinde vor.
Wie kam es zum Orgelneubau in der Lutherkirche?
Die Lutherkirche verfügte seit den 30er Jahren über ein elektropneumatisches Instrument, welches aufgrund schwieriger klimatischer Bedingungen an seinem Aufstellungsplatz immer wieder fehleranfällig war und somit einen sehr hohen Wartungsaufwand verursachte. Die Kirchengemeinde hatte bereits seit den 60erJahren vor, ein Instrument für die Marien-Andreas-Kirche bauen zu lassen und bereits einen Vertrag mit unserer Firma abgeschlossen. Aufgrund der baulichen Situation in der Marien-Andreas-Kirche wurde das Projekt immer wieder verschoben, sodass die Gemeinde auf Drängen von Herrn Kauffeld beschloss, die geplante neue Kleinorgel mit 2 Manualen und Pedal und 13 Registern für die Lutherkirche in Auftrag zu geben, um den kirchenmusikalischen Bedarf in Rathenow abdecken zu können. Im Jahre 1970 wurde dann der Auftrag erteilt. Bei diesem Instrumententyp handelt es sich um eine Orgel, die vom technischen Aufbau mehrfach identisch gebaut wurde und sich lediglich in der Disposition also der Auswahl der Register unterschied.
Die Orgel der Lutherkirche:
Das Instrument ist als rein mechanische Schleifladenorgel gebaut. Das heißt, dass es rein mechanische Verbindungen von den Tasten zu den Tonventilen und von den Registerzügen zur Windlade gibt.
Dieses Bauprinzip entstammt der Barockzeit und erwies sich als dauerhafteste und pflegeärmste technische Bauweise der Orgel. Nach dem 2. Weltkrieg wurde diese Bauweise bis zum heutigen Tage fast überall in Deutschland angewandt.
Das musikalische Konzept:
Instrumente dieser musikalischen Ausrichtung, wie ihre Orgel in der Lutherkirche, spiegeln die Klangauffassung der Entstehungszeit wider, die man heute als neobarock bezeichnet.
Ihre Orgel in der Lutherkirche ist eine zweimanualige Kleinorgel mit selbständigem Pedal.
Zweimanualig heißt:
Die Organisten hab zwei Klaviaturen für das Spiel mit den Händen zur Verfügung und ein Pedal, das mit den Füßen gespielt wird. Im 1. Manual (untere Klaviatur) besitzt die Orgel vier Register, im 2. Manual (obere Klaviatur) verfügt sie über sechs Register und im Pedal besitzt sie drei Register.
Hier noch einmal eine kurze Erklärung, was ein Register ist:
Ein Register ist eine Pfeifenreihe gleicher Bauart, die genauso viele Pfeifen besitzt, wie die Klaviatur Tasten hat. Das heißt, dass ein Register, welches man mit den Händen spielt, also mit den Manualen, 56 Pfeifen gleicher Bauart hat.
Das Pedal, dass man mit den Füßen spielt, hat 30 Töne, sodass es im Pedal 3 Register = 90 Pfeifen sind.
Somit ergibt sich für diese Rathenower Orgel ein Pfeifensumme von 66 Holzpfeifen, 56 Kupferpfeifen und 840 Pfeifen aus einer Zinn-/Blei-Legierung. Und insgesamt verfügt diese Orgel also über 962 Orgelpfeifen.
Warum nennt man diese Orgel Kleinorgel?
Dieser Orgeltyp als zweimanualige Orgel mit Pedal ist eine der kleinsten Varianten, die den Organisten neben der gottesdienstlichen Begleitung die Darbietung vieler Orgelkompositionen besonders des 18. und 19. Jahrhunderts ermöglicht. Das zweite Manual und das Pedal mit eigenen Registern ist für triomäßiges Spiel, in denen bestimmte Stimmen und Lagen hervorgehoben werden müssen, besonders wichtig und unverzichtbar. Somit haben die Organisten die Möglichkeiten in der linken Hand auf dem einen Manual und mit der rechten Hand auf dem anderen Manual zu spielen, sodass verschiedene Klangfarben gleichzeitig verwendbar sind. Trotz dieser relativ wenigen Register, gibt es eine enorm große Anzahl an Variationsmöglichkeiten unterschiedlichste Klangfarben zusammenzustellen. Aus diesem Grund nennt man die Orgel auch Königin der Instrumente.Während man auf anderen Musikinstrumenten nur einen durch die Bauart festgelegten Klang zur Verfügung hat, können sich Organisten viele unterschiedliche Klangfarben durch das Zuschalten von Registern erzeugen. Hier spielt die Phantasie der einzelnen Organisten die größte Rolle. Ich habe viele Konzerte miterlebt, bei denen ich versucht habe, die Registerzusammenstellungen am Klang zu erkennen. Sehr oft musste ich feststellen, dass ich Klangfarben gehört habe, die eigentlich in keinem der Register vorhanden waren. Hier haben die Organisten so lange die Registerzusammenstellungen probiert, bis sie den Klang gefunden haben, den sie sich innerlich vorgestellt haben. Wenn einem Organisten das Klangergebnis nicht gefallen hat, hat er einfach eine Passage eine Octave tiefer gelegt oder mit der Koppel beide Manuale zusammenerklingen lassen. Sicherlich werden auch Sie es schon festgestellt haben, dass mit unterschiedlichen Organisten auch die Orgel sehr unterschiedlich klingen kann. Bei größeren Orgeln hat man natürlich eine größere Vielzahl an Möglichkeiten, die Klangfarben zu mischen.
Eine voll ausgebaute zweimanualige Orgel mit Pedal hat wesentlich mehr Basisregister in der 8‘-Lage (menschliche Stimmlage) und einen durchlaufenden Obertonaufbau mit einem gesunden Bassfundament.
Die voll ausgebauten zweimanualigen Orgeln besitzen meist zwischen 22 und 35 Registern, auf denen man eine wesentlich größere Auswahl an Kompositionen darstellen kann. Deshalb bezeichnet man die Minimalvariante als Kleinorgel, die in erster Linie unter Rücksicht auf die finanzielle Situation vieler Gemeinden konzipiert wurde.
Zur Bauzeit der Orgel
Engpässe: Dieser Begriff ist allen Älteren unter uns noch sehr lebhaft in Erinnerung und zeigt sich auch in unseren Akten der Orgel der Lutherkirche in Rathenow. In der DDR-Zeit war es sehr schwer alle Materialien zu bekommen, die man gern verarbeitet hätte.
In erster Linie betraf es Eichenholz und Plattenwerkstoffe, was für die Windladen benötigt wird. Windladen sind die Herzstücke einer Orgel, auf der die Pfeifenregister stehen und in denen dann die Steuerung zwischen den Organisten und der Orgel stattfindet.
Zum Zweiten ist es das Zinn, was für den Pfeifenbau benötigt wird. Beides war in der DDR-Zeit Mangelware, da es für harte Währung importiert werden musste.
Durch die Tatsache, dass die Kirchenleitungen zwischen Ost und West eng zusammengearbeitet haben, war es unserer Firma möglich, auch Orgeln in Westdeutschland und der Schweiz zu bauen.
Somit wurde unsere Firma als Exportbetrieb eingestuft, der dem DDR-Staat die harte DM einbrachte. Das war für den damaligen Staat sehr lukrativ und erleichterte uns die Materialbeschaffung erheblich.
Das wiederum hatte auch für unsere Kirchengemeinden den Vorteil, dass das Material auch für unsere Gemeinden in der DDR für Orgeln zur Verfügung stand.
Was es in der DDR nicht gab, das waren lautlos laufende Ventilatoren, die den Wind für die Orgel liefern und auch Zungenregister, für die das Material in der DDR nicht hergestellt wurde.
Alle diese Teile wurden über die Kirchenleitungen als Geschenk für die DDR-Gemeinden eingeführt.
Ein weiteres Problem war auch der Bau der Orgelgehäuse. Unsere Werkstatt in Potsdam war zu klein für den Gehäusebau und wir hatten zu dieser Zeit sehr viele Aufträge, sodass die Orgelgehäuse in Vertragspartnerfirmen hergestellt wurden. Aber auch die Tischlereien waren in dieser Zeit stark ausgebucht und hatten ebenso Materialprobleme. Ihr Orgelgehäuse wurde nach längerem Suchen von der Tischlerei Praetsch in Potsdam gebaut.
Die Ironie der Geschichte zeigt sich im Preis der Orgel:
Da in der DDR-Zeit Staat und Kirche komplett voneinander getrennt gehalten wurden, zählten die Kirchengemeinden als reine Privatpersonen. In den 60er Jahren stellt man fest, dass das staatlich gestützte Preissystem nicht mehr funktionierte. Daraus resultierten dann zwei Preissysteme. Um politisch glaubwürdig zu bleiben, sollte die Bevölkerung das billige Preisniveau behalten, (Preisbasis 1966 wurden für private Kunden festgeschrieben), während die Wirtschaft in einem neuen Preissystem arbeitete, was nahezu doppelt so hoch lag, wie der Bevölkerungspreis. Daraus ergab sich, dass die Kirchengemeinden als Privatpersonen ebenfalls in das Preissegment des Bevölkerungsbedarfspreises fielen.
Somit bezahlten die Kirchengemeinden zur DDR-Zeit nur 51 % des Orgelpreises an die Orgelbaufirma und 49% erhielten die Firmen vom Staatshaushalt.
Heute sieht das etwas anders aus: Die Gemeinden beantragen heute Fördergelder bei Bund, Ländern oder Stiftungen.
Zusammen mit der Orgel der Lutherkirche wurden zwei Schwesterinstrumente gleicher Bauart für das Kloster Lehnin und für eine Kirche in Olpe in Nordrheinwestfalen gebaut. Das Baujahr dieser drei Orgeln im Jahre 1972 war ein Geschäftsjahr, das für unsere Firma und auch für meinen Vater eine schwerwiegende Zäsur in der Firmengeschichte werden sollte. In diesem Jahr 1972 wurden alle Privatbetriebe der DDR mit mehr als 10 Mitarbeitern auf Beschluss des Ministerrates der DDR zwangsweise verstaatlicht. Damals hatten wir fast 40 Mitarbeiter. Das war für meinen Vater ein tiefer Schlag, doch er hatte in seinem Leben viele schwierige Situationen, wie die Weltwirtschaftskrise in den 20er Jahren, die Kriegsjahre und auch die russische Kriegsgefangenschaft von 1945 - 1948 erlebt.
Sein Fazit war - auch aus seinem christlichen Denken heraus - ein Satz, den ich nicht vergessen werde.
„WIR MACHEN einfach WEITER“
und lassen uns keine Ängste machen.
Somit hat die Lutherkirche Rathenow eine Orgel bei der Firma Alexander Schuke Potsdam Orgelbauanstalt bestellt und vom VEB Potsdamer Schuke Orgelbau geliefert bekommen.
Damals war ich 17 Jahre alt und hatte gerade die Schule abgeschlossen und eine Tischlerlehre in der Tischlerei in Potsdam begonnen, in der auch ihr Orgelgehäuse gebaut wurde. Trotz dieser Verstaatlichung hatte ich den Beruf des Orgelbauers nie aus den Augen verloren und nach Abschluss der Tischlerausbildung, die Ausbildung zum Orgelbauer, nun zwar nicht mehr in der Firma meines Vaters, sondern im VEB Schuke Orgelbau aufgenommen. Dieses Orgelbauer-Gen scheint gegen politische und wirtschaftliche Veränderungen immun zu sein.
Somit sind auch in den Jahren von 1972 bis 1989 Orgeln aus unserer Firma, nun unter anderem Namen, in vielen Kirchen und Konzertsälen im In- und Ausland entstanden. Die Mitarbeiter waren immer noch die Gleichen und so haben sich die Kontakte zu den Kirchengemeinden und Konzerthäusern auch über diese Zeit erhalten. Im Jahre 1990 konnte ich die Firma reprivatisieren und somit die Tradition und auch den Generationswechsel der Firma fortsetzen.
Die Kirchengemeinde Rathenow gehört zu den Gemeinden, die schon mit meinem Großvater, meinem Vater und mir zusammengearbeitet haben, wofür ich Ihnen hier noch einmal herzlichen Dank sagen möchte.
Inzwischen haben meine beiden Söhne die Firma übernommen und setzen somit die Tradition in ihrer Generation fort und ich hoffe, dass die Kontakte nach Rathenow, auch in dieser neuen Generation weiterbestehen und weiter lebendig bleiben können.
Auch in Rathenow hat es mehrere Genrationswechsel bei Pfarrern und Kirchenmusikern gegeben. So hat nach Herrn Kauffeldt Frau Kantorin Hanna Seefeld die kirchenmusikalische Betreuung fortgesetzt, die jetzt von Frau Görlitz ebenfalls fortführt wird.
So funktioniert das Leben, wenn sich immer wieder Menschen finden, die sich für eine Sache begeistern lassen und etwas Bestehendes fortführen und zu ihrem Lebensinhalt machen und für die nächste Generation weiterentwickeln.
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Gemeinde, dass Sie immer wieder Menschen finden, die das Gemeindeleben mit innerer Begeisterung weitertragen.
Herzlichen Dank
Matthias Schuke 30.09.2022 in der Lutherkirche in Rathenow