Eine Königin für die Sankt-Marien-Andreas-Kirche
Eine Königin für die Sankt-Marien-Andreas-Kirche
von Dr. Wolfgang Kurth
Der Förderkreis zum Wiederaufbau der Kirche sammelt seit vielen Jahren Geld für eine Orgel. Das ist eine der außerordentlichen Herausforderungen, denen sich der Verein stellt, um die im Krieg entstandenen Schäden am Gotteshaus wenigstens weitgehend zu beheben. Wann die neue Orgel erklingen wird, ist nicht abzusehen. Auch 78 Jahre nach dem Ende des Krieges ist das noch so. Wenn sie aber eines Tages erklingt, haben wir dann eine Königin in der Kirche, die „Königin der Instrumente“?
Ist die Orgel die „Königin des Instrumente“?
Die Bezeichnung ist fast schon zu einem geflügelten Wort geworden. Sie geht auf Wolfgang Amadeus Mozart zurück. In einem Brief vom Oktober 1777 berichtet der damals 21-jährige Komponist von einem Besuch in Augsburg und von seiner Begegnung mit dem dortigen Organisten. Es lohnt sich, die Briefstelle in einem etwas größeren Zusammenhang zu lesen:
Augsburg, nach 17. Oktober 1777.
… Nun, morgen komme ich vielleicht auf seine Orgeln, das heißt, ich komme darüber zu schreiben, und auf die Letzt spare ich mir seine kleine Tochter. Als ich Herrn Stein sagte, ich möchte gern auf seiner Orgel spielen, dann die Orgel seie meine Passion, so verwunderte er sich groß und sagte: »Was? ein solcher Mann wie Sie, ein solcher großer Klavierist will auf einem Instrumente spielen, wo kein Douceur, keine Expression, kein Piano, kein Forte stattfindet, sondern immer gleich fortgehet?« – »Das hat alles nichts zu bedeuten; die Orgel ist doch in meinen Augen und Ohren der König aller Instrumenten.« – »Nu, meintwegen!« Wir gingen halt miteinander; ich merkte schon aus seinen Diskursen so, daß er glaubte, ich würde nicht viel auf seiner Orgel machen, ich würde par exemple völlig klaviermäßig spielen. Er erzählte mir, er hätte auch Schoberten auf sein Verlangen auf die Orgel geführt; »und es war mir schon bange,« sagte er, »dann Schobert sagte es allen Leuten, und die Kirche war ziemlich voll; dann ich glaubte halt, der Mensch wird voll Geist, Feuer und Geschwindigkeit sein, und das nimmt sich nicht aus auf der Orgel; aber wie er anfing, war ich gleich andrer Meinung.« Ich sagte nichts als dies: »Was glauben Sie, Herr Stein, werde ich herumlaufen auf der Orgel?« – »Ach Sie, das ist ganz was anders.« Wir kamen auf den Chor, ich fing zu präludieren an, da lachte er schon; dann eine Fuge. »Das glaube ich,« sagte er, »daß Sie gerne Orgel spielen; wenn man so spielt!« Vom Anfang war mir das Pedal ein wenig fremd, weil es nicht gebrochen war; es fing C an, dann D E usw. in einer Reihe; bei uns ist aber D und E oben, wie hier Es und Fis. Ich kam aber gleich drein. …
(vgl. https://www.projekt-gutenberg.org/mozart/briefe/chap026.html)
Blickt man auf Mozarts Kompositionen, so kommt die Orgel unter 626 im Köchelverzeichnis aufgeführten Werken insgesamt 74 mal vor. Fast immer wird sie als Begleitinstrument eingesetzt - z. B. KV 108 Regina Coeli für vier Singstimmen, 2 Violinen, Viola, Bass, 2 Oboen (2 Flöten), 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken und Orgel. In wenigen Fällen schreibt er für Orgel allein, dann aber für „Orgelwalze“, einem mechanischem Musikinstrument, dessen Tonerzeugung nach dem Prinzip der Orgel funktioniert - z. B. KV 594 Adagio und Allegro f-Moll für eine Orgelwalze.
(vgl. http://dardel.info/musique/KoechelVerz.html)
Zumindest kann man daraus den Schluss ziehen, dass Mozart auch andere Instrumente sehr geschätzt hat … und den Gesang … und dass er die „Königin“ mehr als Dienerin denn als Herrscherin eingesetzt hat. Darin unterscheidet er sich von z. B. Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy oder Max Reger.
Trotzdem, die populär gewordene Bezeichnung wird vielfach kommentiert. So kann man z. B. lesen:
Wer einmal das größte, lauteste – und vielleicht auch schwierigste Instrument spielen möchte, der muss sich für die Orgel entscheiden. Ihr Klang reicht von sanftem Pianissimo bis zu donnerndem Fortissimo und hat an Tiefe und Höhe mehr Umfang, als alle anderen Instrumente. Diesen wunderbaren Klang bekommt die "Königin der Instrumente" durch die vielen verschiedenen Pfeifen, die beim Spielen zum Klingen gebracht werden.
(vgl. https://www.br.de/kinder/orgel-pfeifen-koenigin-der-instrumente-kinder-lexikon-100.html)
Die Orgel wird wegen ihres prächtigen Äußeren und ihres gewaltigen Klanges oft als „Königin der Instrumente“ bezeichnet. Keine Orgel ist wie die andere; jede ist optimal an die Akustik des Raumes angepasst, in dem sie erklingt. Die prächtigen Instrumente in Kirchen und Konzertsälen sind Meisterwerke der Feinmechanik und des Instrumentenbaus. Von der Antike bis heute spiegelt der Orgelbau technische Entwicklungen, aber auch stilistische Umbrüche wider, so dass heute an vielen erhaltenen oder restaurierten Orgeln die Stilvielfalt von 500 Jahren Kirchenmusik zu erkennen und klanglich zu erleben ist. Bei kaum einem anderen Musikinstrument spielt die ungebrochene Tradition des Instrumentenbaus eine so wichtige Rolle wie bei der Orgel.
(vgl. https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/musik/artikel/orgel)
Weitere Argumente für eine Ausnahmestellung der Orgel ließen sich finden.
Und doch - Mozart formuliert vorsichtig: „in meinen Augen und Ohren“ ist die Orgel „der König“. Der Augsburger Organist verweist auch nicht zu Unrecht auf den starren Klang einer Orgelpfeife, die nicht zwischen laut und leise unterscheiden kann - „wo kein Douceur, keine Expression, kein Piano, kein Forte stattfindet, sondern immer gleich fortgehet“.
Orgelbauer müssen einen großen Aufwand betreiben, um Effekte wie laut und leise oder unterschiedliche Klangfarben zu erzeugen. Die riesige Passauer Domorgel z. B. hat 17.974 einzelne Pfeifen, die zu 231 unterschiedlich klingenden Registern gehören. Hinzu kommen Schwellwerke, die den Klang einzelner Register dämpfen oder in voller Lautstärke erklingen lassen, spezielle Anordnungen einzelner Registergruppen im Kirchenraum u. a. Alle Register dieser zur Zeit ihres Baus größten Kirchenorgel der Welt können von einem zentralen Spieltisch aus gespielt werden.
Hält man dagegen die fast unendliche Variabilität des Klangs einer Geige, die mit vier schwingenden Saiten auskommt, deren Klang Ähnlichkeit mit der menschlichen Stimme hat und die von jedem Kind getragen werden kann! Allerdings spielt sie vorrangig einstimmig.
Oder das Klavier (Fortepiano), das einen sehr variablen Klang entwickeln kann und für mehrstimmiges Spiel bestens geeignet ist! Allerdings verklingen die Saiten schnell.
Manchmal wird der Klang eines Instruments mit zusätzlicher Bedeutung „aufgeladen“. Nachdem Gott die Opferung Isaaks verhindert hat, wurden die Hörner des an seiner Stelle geopferten Widders zu Musikinstrumenten (Schofaren) umfunktioniert. Juden feiern die Heiligkeit Gottes bis heute mit diesen Hörnern. Aus „rein“ musikalischer Sicht ist der Schofar zum Musizieren allerdings nur sehr bedingt geeignet.
Wer mag angesichts dessen von König oder Königin sprechen? Der Reichtum der Musikinstrumente liegt in ihrer Vielfalt, zu der auch die wunderbare Orgel gehört.
Wie funktioniert eine Orgel?
Das Pfeifenwerk
Der Klang der Orgel entsteht durch die Schwingungen der in einer Röhre (Orgelpfeife) eingeschlossenen Luft. Das Instrument Orgel gehört deshalb zur Gruppe der Luftklinger (Aerophone), zu denen z. B. auch Flöten und Trompeten gehören.
Orgelpfeifen werden aus unterschiedlichem Material (Metall, Holz), in unterschiedlicher Form (zylindrisch, konisch) und in unterschiedlichen Mensuren (Verhältnis von Länge und Durchmesser) gebaut. Die Pfeife kann an beiden Seiten offen oder an einer Seite geschlossen (gedackt) sein.
Die in der Pfeife eingeschlossene Luft wird meist durch eine Labium zum Schwingen gebracht. Das Labium ist eine scharfe Kante, an der sich ein Luftstrom bricht. Dieses Prinzip der Tonerzeugung ist identisch mit dem einer Blockflöte. Die Luftsäule kann aber auch durch auf- oder durchschlagende Metallzungen zum Schwingen gebracht werden. Die Tonerzeugung bei den „Zungenpfeifen“ ist identisch bzw. ähnlich dem einer Mundharmonika.
Durch unterschiedliche Bauweisen und durch unterschiedliche Arten der Tonerzeugung können viele verschiedene Klangfarben erzeugt werden.
Orgelpfeifen gleicher Bauart aber unterschiedlicher Länge (Tonhöhe), heißen Register. Kleine Orgeln haben manchmal nur eine Pfeifenreihe (ein Register). Große Orgeln haben viele unterschiedliche Pfeifenreihen (Register) mit entsprechend vielen Klangfarben.
Die Tonhöhe eine Orgelpfeife hängt von ihrer Länge ab. Für Orgeln werden Register in unterschiedlicher Höhenlage gebaut. Traditionell werden die Register nach der Länge der jeweils tiefsten Pfeife eines Registers benannt. Die Länge der Orgelpfeifen wird bis heute in Fuß angegeben (1 Fuß entspricht etwa 32 cm).
Das 8 Fuß Register (8´) entspricht der mittleren Tonlage. Das 4 Fuß Register (4´) klingt eine Oktave höher. Das 16 Fuß Register (16´) klingt eine Oktave tiefer. Das Bild zeigt im Orgelbau häufig verwendete Pfeifengrößen.
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Sehr selten werden auch 64 Fuß Register gebaut. Die tiefste Orgelpfeife ist dann 19,20 Meter lang. Die Orgel des Kölner Doms z. B. verfügt über ein solches Register.
Oft werden Register zusätzlich mit Begriffen bezeichnet, die den Klang charakterisieren (z. B. Rohrflöte 4´). Bei manchen Registern erklingen, wenn ein Ton gespielt wird, von vornherein mehrere Pfeifen (Mixtur).
Das Pfeifenwerk ist in der Regel in einem meist begehbaren Gehäuse untergebracht. So können die Pfeifen gereinigt und gegebenenfalls repariert werden.
Blick in das Pfeifenwerk einer Orgel:
Nur wenige Orgelpfeifen, sind auch von außen sichtbar. Die Orgelbauer bemühen sich, mit diesen „Prospektpfeifen“ eine schöne Ansicht für jedes Instrument zu gestalten.
Der Prospekt der Berliner Domorgel:
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Das Windwerk
Einzelne Orgelpfeifen - wenn sie nicht allzu groß sind - können auch mit dem Mund angeblasen werden, ähnlich wie eine Blockflöte. Bei dem großen Instrument mit vielen Pfeifen wird der notwendige Luftdruck (bei der Orgel spricht man von Wind) jedoch mechanisch erzeugt, in der Regel durch ein elektrisches Gebläse. Der so erzeugte Wind wird in einem großen Magazinbalg gespeichert und von dort über ein kompliziertes System an die einzelnen Orgelpfeifen geleitet.
Das Regierwerk
Der Organist spielt an einem Spieltisch.
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Mit den Händen spielt er auf Manualen, die wie Klaviertasten aufgebaut sind.
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Mit den Füßen spielt er auf einem Pedal. Auch das Pedal ist wie eine Klaviertastatur aufgebaut, jedoch sind die Tasten für das Spiel mit den Füßen viel größer. Mit dem Pedal werden die tiefsten Register der Orgel gespielt.
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Vor Beginn des Spiels wählt der Organist die Register. Er kann z. B. festlegen, dass beim Spiel der Taste c nur der Ton c eines Registers oder die Töne c mehrerer Register gleichzeitig erklingen. In älteren Orgeln wurde dazu ein Register gezogen (eingeschaltet) oder abgestoßen (ausgeschaltet). Die Redewendung „alle Register ziehen“ hat hier ihren Ursprung. Im Bild sind gezogene und abgestoßene Registerzüge auf einer alten Orgel erkennbar.
In modernen Orgeln werden die Register nicht mehr rein mechanisch, sondern auch pneumatisch oder elektronisch gesteuert.
Oft können nicht alle Register von einem Manual aus angesteuert werden. Große Orgeln haben deshalb mehrere Manuale. Der Spieler kann dann mit linker und rechter Hand auf unterschiedlichen Manualen spielen oder von einem Manual auf ein anderes wechseln und auf diese Weise unterschiedliche Klangfarben kombinieren.
Alle Bauteile der Orgel, die die Impulse des Organisten an die Orgelpfeifen weiterleiten, bilden das Regierwerk. Die zentrale Steuereinheit ist der Spieltisch.
Im Bild sieht man den Spieltisch der Orgel im Schweriner Dom. Gut erkennbar sind vier Manuale, das Pedal und die Registerzüge links und rechts neben den Manualen und dem Notenpult.
Wir dürfen gespannt sein auf die Register und auf den Prospekt der neuen Rathenower Orgel.
Wir dürfen uns freuen auf wunderbare Musik.
Dr. Wolfgang Kurth- 04.06.2023
Abbildungen
Mozart, unvollendetes Gemälde
https://de.m.wikisource.org/wiki/Datei:Mozart-Lange.jpg
Mark Neyman: Schofar, Government Press Office
Silhouette eines Mannes
Cmcmcm1: Pipe organ of Friedenskirche (Kirkel)
Olbertz at German Wikipedia: Orgel im Berliner Dom
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Orgel_Berliner_Dom.jpg
Andreas Praefcke: Weingarten Basilika Gabler-Orgel Register rechts
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Weingarten_Basilika_Gabler-Orgel_Register_rechts.jpg
Schopie: Spieltisch Ladegast Schwerin Dom
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Spieltisch_Ladegast_Schwerin_Dom.jpg