Peter Kurth zum 70. Konfirmationsjubiläum 2024
Peter Kurth, unser langjähriges Mitglied im Förderkreis und unser Vertreter im Kuratorium feierte im Mai ein denkwürdiges Jubiläum: Vor nunmehr 70 Jahren wurde er konfirmiert!
Peter Kurth
Dazu schrieb er einen besinnlichen Text.
„Ich wurde am 9. Mai 1954 in der Lutherkirche konfirmiert. Da ich damals (wie heute noch) in der Goethestraße wohnte und schon in den dortigen evangelischen Kindergarten ging, war mir diese Kirche wohlvertraut.
Damals war es selbstverständlich, dass nahezu alle Kinder die Christenlehre und anschließend den Konfirmandenunterricht besuchten, in einer abschließenden Prüfung ein umfangreiches Wissen über ihre Religion, über Texte und Kirchenlieder nachweisen mussten und dann schulklassengeordnet und neu eingekleidet bei feierlicher Orgelmusik in den Kirchenraum einzogen.
Draußen auf der Straße in Zweierreihen aufgestellt, bestaunten wir uns erst einmal in der ungewohnten „Kostümierung“. Die Jungen hatten wie schon ihre Väter und Großväter zu ihrer Zeit dunkle Anzüge, weiße Hemden (wenn möglich mit Manschettenknöpfen und natürlich mit Schlipsen verziert) angezogen; die Farben der Mädchenkleider waren „gedeckt“. Mein Freund Rolf, so erinnere ich mich, hatte sogar einen „Westschlips“ in leuchtenden Farben vorzuweisen …
1954, daran muss man heute erinnern, das war „Nachkriegszeit“ mit weit verbreiteter Armut und der Teilung unseres einstmals großen Heimatlandes, das war die Zeit des „Kalten Krieges“, der Feindseligkeiten zwischen Ost und West. Der Krieg tobte bis 1945. Als ich im Juni 1940 geboren wurde, marschierten deutsche Soldaten gerade in Paris ein.
Am 1. September 1940 wurde ich von Pfarrer Hubert Feist getauft. Mein Vater, mein Onkel und der Mann meiner Patentante waren als Soldaten weit entfernt. Da war der Krieg gerade 1 Jahr alt. Der Mann meiner Patentante starb dann in Stalingrad, mein Onkel auf der Krim. Als mein Vater unter abenteuerlichen Bedingungen aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Haus in die sowjetische Besatzungszone geflohen war, fand er seine Frau und sein Kind – mich – „ausgebombt“, also zunächst wohnungslos bei seinen Schwiegereltern vor. Pfarrer Feist hatten die Russen bei der Eroberung Rathenows erschossen.
Mein Konfirmationspfarrer Rolf Stubbe hatte nur noch einen Arm. Wir Konfirmanden beobachteten voller Rührung, wie er uns dennoch eindrucksvoll segnete.
Auch in meiner Heimatstadt haben sich viele in den folgenden Jahren aus politischen, wirtschaftlichen oder familiären Gründen entschlossen, in den Westen zu gehen – „abzuhauen“, wie man damals sagte. Dieser Begriff beinhaltet auch etwas Schmerzliches. Die angestammte Heimat und zurückgebliebene Freunde zu verlassen, kann wehtun, ist endgültig und trennend.
Jubiläen wecken Erinnerungen, regen zum Gedenken und Bedenken an.
Damals besuchten einige Klassenkameraden die Schule bis zum Abitur, andere erlernten nach der 8. Klasse einen Beruf.
In meiner Familie waren sowohl mein Vater als auch schon mein Großvater „Schlosser“, und so erlernte auch ich einen solchen Handwerksberuf.
Die Rathenower „Kesselschmiede“, ein „Volkseigener Betrieb“, bildete damals in drei Lehrjahren viele zukünftige Facharbeiter aus, und dazu gehörte auch die ideologische Erziehung zur sozialistisch-kommunistischen Weltanschauung. Wer sich weiterhin zum Christentum bekennen wollte, musste mit Problemen leben.
Da sagte mein Ausbilder einmal vor „versammelter Mannschaft“: „Wer heute noch an den lieben Gott glaubt, muss ja bekloppt sein!“ Ich war damals (und auch später) nicht so leicht zu „bequatschen“ und sagte darauf: „Diesen Gott gibt es schon zweitausend Jahre, Karl Marx erst hundert!“
Über solche Erlebnisse und über mein im Laufe der Jahre weiterentwickeltes Bemühen, mich nicht verbiegen zu lassen, habe ich ein Buch mit dem Titel „EIGENARTIG ANGEPASST – RÜCKBLICKE AUF MEIN LEBEN IN DER DDR“ geschrieben.
Die vier sogenannten Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus (Marx, Engels, Lenin, Stalin) wurden damals oft in einer Art „Andachtsbild“ verherrlicht. Als Stalin nach seinem Tod von seinen eigenen Genossen als unwürdig aus den Reihen der Klassiker ausgestoßen wurde, verblieben drei. Da kamen wir drei Klassenkameraden (Hartwig, Klaus und ich) auf die Idee, uns in ähnlicher Weise zu fotografieren.
Allerdings wollten wir uns nicht so selbstsicher, sondern nachdenklich lächelnd darstellen: „Eigenartig angepasst“… wahrheitsgemäß … wir wollte nicht abhauen …
von links: Hartwig Blume, Klaus Pritzkow, Peter Kurth
Als ich nun zur Erinnerung an mein 70. Konfirmationsjubiläum auch ein Foto „inszenieren“ wollte, stellte ich mich in angemessener Kleidung, aber ohne „Schlips und Kragen“, statt dessen mit einem großväterlichen Krückstock in meinen sonnenbeschienenen Garten.
Ein anderer Klassenkamerad war noch rechtzeitig nach Westberlin abgehauen, studierte dort an der Freien Universität, wurde Mitglied im „Sozialistischen Deutschen Studentenbund“ und gelangte als ein enger Kampfgefährte des weithin bekannten Rudi Dutschke in die Schlagzeilen und auf die Bildschirme. Zur „Goldenen Konfirmation“ in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche sahen wir uns nach Jahrzehnten wieder. Er war inzwischen Soziologie-Professor, ich war Lehrer für Deutsch, Geschichte und seit 1990 auch berechtigt, Politische Bildung im Oberstufenbereich zu unterrichten. Da war viel Erzählenswertes, wir trafen uns mehrmals hier in Rathenow. So gab ich ihm zu verstehen, dass ich kein Verständnis haben konnte, als ich im Westfernsehen ihn damals mit seinen Kampfgenossen protestierend Eier an die Fassade des Berliner Amerikahauses werfend sah. Ich hätte stattdessen gern in der berühmten Bibliothek des Hauses all das lesen wollen, was in meiner DDR verboten war.
Er erzählte mir seinerseits auch befremdliche Geschichten. Mit seinem Freund Rudi Dutschke geriet er in einen heftigen Streit, weil der heiraten wollte. Es gehörte ja zu der Überzeugung der SDS-Aktivisten, dass ein Revolutionär keine Zeit für ein Familienleben opfern dürfte …
Leider ist unser Kontakt unserem Lebensalter zum Opfer gefallen. Er hat sich, so habe ich gehört, in einer ländlichen Gegend Brandenburgs zur Ruhe gesetzt und hat wohl nun keine Zeit mehr für einen solchen interessanten, weil gegensätzlichen Gedankenaustausch …
Inzwischen ist viel Zeit vergangen. Nach 60 Jahren spricht man von der diamantenen, und nun, nach 70 Jahren gar von der Jubel–Konfirmation. Diese Bezeichnung stammt aus einer vergangenen Zeit, als viel weniger Menschen so alt geworden sind. Unser Leben hat sich verändert – und, auch das gehört zum Gedenken und Bedenken anlässlich eines schönen Jubiläums – nicht nur zum Guten. Die Konfirmationen der letzten Jahre auf unserem Kirchberg; da waren mehr Autos auf dem begrenzten Parkraum als Konfirmanden in der großen Kirche. Sieht man in die Zeitungen, ins Fernsehen, dann wird beängstigend deutlich: Es fehlt an Orientierung. Wir verarmen, wenn wir ohne Gedenken und Bedenken leben. ALLES; WAS IHR TUT; GESCHEHE IN LIEBE! Dieser Satz ist auch 2000 Jahre alt. Er darf nicht in Vergessenheit geraten!
Copyright: Peter Kurth
Mitglied im Kuratorium des Förderkreises zum Wiederaufbau
der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V.